Offener Brief an die deutsche Bundesregierung
Zum Start der deutschen EU-Ratspräsidentschaft fordern Umweltorganisationen aus acht EU-Mitgliedsstaaten die Bundesregierung gemeinsam auf, die längst überfällige Reform des Euratom-Vertrages auf die Agenda zu setzen und entsprechend eine Vertragsstaatenkonferenz einzuberufen. Erarbeitet wurde der Brief von einer europäischen Koordination gegen den EURATOM-Vertrag. NaturFreunde und ausgestrahlt hatten einen ersten Vorschlag für den gemeinsamen Brief erarbeitet.
Sie verweisen dabei auf den 2018 verabschiedeten Koalitionsvertrag der deutschen Regierungsparteien in dem festgeschrieben wurde, dass der Euratom-Vertrag „hinsichtlich der Nutzung der Atomenergie an die Herausforderungen der Zukunft angepasst“ werden muss. Ebenfalls ist dort zu lesen, dass: „keine EU-Förderung für neue Atomkraftwerke“ in Zukunft erfolgen dürfe.
Der Euratom-Vertrag ist eine wichtige vertragliche Grundlage um den Bau von neuen Atomreaktoren in den Staaten der Europäischen Union zu forcieren. Mit der ausdrücklichen Berufung auf den EURATOM-Vertrag hatte der Europäische Gerichtshof die hohe finanzielle Förderung den Neubaus eines Atomreaktors im britischen Hinkley-Point für mit den europäischen Verträgen vereinbar erklärt. Zuletzt berief sich darauf auch der EU-Generalanwalt in einer Stellungnahme zur Rechtmäßigkeit von Subventionen für das im Bau befindliche AKW Hinkley Point C durch die britische Regierung.
Die Verbände kritisieren zudem die negativen Auswirkungen des Vertrages auf den Kampf gegen die Klimakrise: „Der Euratom-Vertrag verhindert einen ökologischen Umbau der Energieerzeugungsstruktur in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und steht damit den Klimazielen von Paris diametral entgegen.“ Die einseitige, privilegierte Förderung der Atomkraft wie sie im Vertragswerk festgeschrieben ist, verhindert den nötigen, schnellstmöglichen Ausbau Erneuerbarer Energien. Dringend dort benötigte Forschungsgelder fließen weiterhin in nukleare Träumereien von Fusionsreaktoren, deren Realisierung überaus fragwürdig ist.
Der Euratom-Vertrag wurde 1957 geschlossen und existiert bis heute ohne das substantielle Anpassungen des Vertragstextes vorgenommen wurden. Ziel des Abkommens ist es u.a.: „die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen“. Es räumt der Nutzung der Atomkraft in der EU Vorrang vor anderen Energieträgern ein.
Die NaturFreunde Deutschlands setzen sich aktiv für die Auflösung des EURATOM-Vertrages ein. Im Rahmen der Kampagne "1000 Gipfel gegen EURATOM" haben sie an mehr als 1.000 Orten für den Ausstieg aus dem EURATOM-Vertrages Flagge gezeigt.
Hier der offene Brief an die Bundesregierung im Wortlaut:
Offener Briefan die deutsche BunderegierungDeutsche EU-Ratspräsidentschaft nutzen – versprochene Überarbeitung des Euratom-Vertrages umsetzen
Am 1. Juli 2020 übernimmt Deutschland den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. In dieser Zeit leitet und koordiniert die deutsche Bundesregierung die Arbeit des Rates. Die unterzeichnenden Organisationen und Initiativen erwarten von der Bundesregierung, dass sie den Vorsitz der Ratspräsidentschaft dafür nutzt, endlich einen konkreten Zeitplan für die Überarbeitung des Euratom-Vertrages zu vereinbaren.
Bereits in der Koalitionsvereinbarung von 2018 haben CDU/CSU und SPD vereinbart, dass der Euratom-Vertrag „hinsichtlich der Nutzung der Atomenergie an die Herausforderungen der Zukunft angepasst“ [1] werden muss. Weiter wurde als Teil der Koalitionsvereinbarung festgehalten, dass in Zukunft „keine EU-Förderung für neue Atomkraftwerke“ [2] erfolgen dürfe. Ausdrücklich weisen wir darauf hin, dass diese Vereinbarungen im Koalitionsvertrag bei weitem zu kurz greifen und fordern die Bundesregierung auf, sich innerhalb der EU für einen schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomenergie einzusetzen. Wir erwarten von der Bundesregierung jedoch, dass sie mindestens die im Koalitionsvertrag zugesicherte Revision des Euratom-Vertrages als einen Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft voranbringt.
Der Euratom-Vertrag verhindert einen ökologischen Umbau der Energieerzeugungsstruktur in den Mitglieds-staaten der Europäischen Union und steht damit den Klimazielen von Paris diametral entgegen. Schon in der Präambel des Vertrages zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft wird als Ziel eindeutig festgeschrieben, „die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen“ [3] und die Atomenergie wird als „eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt“ [4] dargestellt. Jüngst wurde auf den Einwand Österreichs in seiner Klage gegen die massive Subventionierung des Baus des Atomreaktors Hinkley Point in Großbritannien vom Gerichtshof festgehalten, dass „weder die Vorschriften über staatliche Beihilfen noch der Euratom-Vertrag eine technische Innovation verlangen“ [5] und deshalb eine grundsätzliche Subventionierung des Baus neuer Atomkraftwerke durch die Nationalstaaten mit den europäischen Verträgen vereinbar sei.
Auf die eindeutige Ausrichtung des Euratom-Vertrages wurde in der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union zum geplanten neuen Atomkraftwerk in Hinkley Point ausdrücklich Bezug genommen. In der Pressemitteilung des Gerichtshofes wird darauf verwiesen, dass sich „das Ziel der Förderung der Kernenergie, insbesondere das Ziel der Schaffung von Anreizen für die Schaffung neuer Kapazitäten der Erzeugung von Kernenergie, mit dem Ziel der Euratom-Gemeinschaft, Investitionen im Bereich der Kernenergie zu erleichtern, deckt“ [6]. Spätestens nach diesem Urteil muss die Bundesregierung handeln und eine Überarbeitung des Euratom-Vertrages in den EU-Gremien anstoßen und bei den anderen Mitgliedstaaten einfordern.
Die Forderung aus dem Koalitionsvertrag, wonach „Deutschland bei der Reaktorsicherheit in Europa dauerhaft Einfluss ausüben müsse – auch nach dem Ausstieg aus der nationalen Nutzung der Kernenergie“ [7] muss mit einer konkreten Ausstiegsforderung aus der Atomenergie verbunden werden. Auch die Forderung, „für umfassende Sicherheitsüberprüfungen“ [8] und „ambitionierte verbindliche Sicherheitsziele in der EU“ [9] einzutreten, ist sinnvoll und muss jedoch mit einer klaren Forderung nach einer schnellstmöglichen Abschaltung aller Atomkraftwerke und Atomanlagen in den Mitgliedstaaten der EU verbunden werden.
Von der deutschen Bundesregierung erwarten wir während des Vorsitzes im Rat der Europäischen Union in der zweiten Jahreshälfte 2020, dass sie
- konkrete Vorschläge für die Auflösung oder Vertragsänderung des Euratom-Vertrages vorlegt, um die EU-weite Förderung der Atomkraft zu beenden
- innerhalb der nächsten 6 Monate eine Vertragsstaatenkonferenz einberuft, um die o.g. Auflösung oder Revision in die Wege zu leiten
- eine Verschärfung der Sicherheitsrichtlinie 2014/87/Euratom einleitet, nach welcher neue AKW – d.h. AKW, die 2020 oder danach in Betrieb genommen werden – in Zukunft das Sicherheitsniveau aktueller AKW erfüllen müssen (etwa EPR), statt wie bisher jenes von vor 30 Jahren, als deren Bauarbeiten begonnen wurden (etwa Mochovce 3&4/Slowakei)
Darüber hinaus fordern wir die Bundesregierung auf:
- sich aktiv für die schnellstmögliche Abschaltung aller Atomkraftwerke in der EU einzusetzen
- sich für die Aufnahme eines neuen Artikels in die EU-Verträge einzusetzen, der ein Verbot des Baus von neuen Atomkraftwerken in den Mitgliedstaaten der EU vertraglich festschreibt
Unterzeichnende Organisationen
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Bulgarien
Dänemark
Finnland
Frankreich
Österreich
Polen
Spanien
länderübergreifend
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[1] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, Ein neuer Aufbruch für Europa - Eine neue Dynamik für Deutschland - Ein neuer Zusammenhalt für unser Land, 2018, S. 141
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] KONSOLIDIERTE FASSUNG DES VERTRAGS ZUR GRÜNDUNG DER EUROPÄISCHEN ATOMGEMEINSCHAFT, 2012/C 327/01
[5] Ebd.
[6] Gericht der Europäischen Union, PRESSEMITTEILUNG Nr. 104/18, Luxemburg, den 12. Juli 2018
[7] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, a.a.O., S. 141
[8] Ebd.
[9] Ebd.