Die Corona-Leugnung als rechtes Agitationsfeld

Wie esoterische und alternative Milieus gemeinsame Sache mit Neonazis machen

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Mit dem Beginn der pandemiebedingten Einschränkungen des Lebens in Deutschland hat sich eine neue Protestbewegung formiert, die vor allem rund um eine Demonstration in Berlin Ende August für Aufmerksamkeit sorgte. Die Bilder von Reichskriegsflaggen vor dem Reichstagsgebäude gingen um die Welt. Insgesamt folgten laut behördlichen Schätzungen an diesem Tag 38.000 Menschen den Aufrufen der Initiative „Querdenken“ und zahlreicher rechtsextremer Gruppierungen.

Die Überraschung über offen zur Schau gestellte Symbole des Deutschen Reiches und die Prominenz der extremen Rechten vor Ort war in der Berichterstattung groß. Kurz zuvor ließ das Bundesamt für Verfassungsschutz noch verlauten, dass nicht mit einem Protest rechtsradikaler Kräfte zu rechnen sei. Diese Fehleinschätzung musste es dann im Nachhinein korrigieren und gab damit den zahlreichen Warnungen antirassistischer Initiativen wie „Aufstehen gegen Rassismus“ recht. Für viele Expert*innen war es nämlich eine logische Folge, dass sich rechte Kräfte den Protesten anschließen würden, nachdem eine Demo am 1. August in Berlin das von Leni Riefenstahl inspirierte Motto „Tag der Freiheit“ trug und sich deutlich rechtsoffen zeigte.

Doch wieso demonstrierten dort Esoteriker* und Impfgegner*innen neben überzeugten Neonazis, Reichsbürger*innen und AfD-Abgeordneten? Auf den ersten Blick passen diese Menschen weltanschaulich gar nicht zusammen, doch bei genauerem Hinsehen eint sie der Glaube an Verschwörungsideologien und eine sozialdarwinistische Einstellung.

Die Psychologin Julia Becker untersuchte die Motivation der Protestierenden und sagte dem Tagesspiegel, „dass es einen Zusammenhang zwischen der Bereitschaft, an den Protesten gegen die Restriktionen teilzunehmen und dem Sozialdarwinismus gibt, also dem Gedanken, dass nur die Stärkeren ein Recht auf das Überleben haben. Sie stimmen stärker der Einstellung zu, dass etwa ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen durchaus an Covid-19 sterben dürften.“

Zusätzlich zu dieser Einstellung finden sich allerlei Mythen über globale Absprachen von mächtigen Eliten, Pharmakonzernen und Medien, die wahlweise die Bevölkerung umbringen oder versklaven möchten. Das personifizierte Böse für die Corona-Leugner*innen ist hierbei meist Bill Gates. Bei der Zuschreibung von geheimen Eliten, die die Versklavung der Welt planen, handelt es sich um offenen oder strukturellen Antisemitismus. Rund um die Protestszene finden sich viele Versatzstücke von Reichsbürger*innenideologie, die das Grundgesetz und die Bundesrepublik als unrechtmäßige Konstrukte erklären, die von den als jüdisch beschriebenen Alliierten gesteuert würden. Ein besonders widerwärtiges Beispiel ist das Tragen von gelben Davidsternen mit der Aufschrift „ungeimpft“: Die Gleichsetzung der vom NS-Regime verfolgten Jüd*innen mit der Weigerung sich impfen zu lassen, ist eine eindeutige Holocaustrelativierung.

Ein Blick in Teile der esoterischen und alternativen Milieus zeigt, dass Versatzstücke dieser Ideologien dort schon lange eine Rolle spielen. Irrationale und spirituelle Naturverbundenheit kann durchaus in Menschenhass umkippen. Aktuelle Beispiele gibt es dank der Proteste genug. Vor den Verbindungen mit der extremen Rechten und dem Entstehen neuer Mischszenen warnen Expert*innen schon seit Langem. Nicht alle Menschen, die auf diesen Demos waren, teilen solche Ansichten. Auch muss das Recht, Kritik an den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu üben, geschützt werden. Wer allerdings mutwillig gemeinsam mit der extremen Rechten demonstriert, normalisiert antidemokratische, wissenschaftsfeindliche und menschenverachtende Positionen. Genau das haben führende rechte Strateg*innen erkannt und sich deshalb den Protesten angeschlossen.

Yannick Passeick
Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN)