„Das Leben ist wie eine schwierige Kletterroute“

Wie der Klettersport geflüchteten Jugendlichen hilft – zum Beispiel in Dortmund

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Vor vier Jahren, nur wenige Wochen nach Beginn der großen Flüchtlingswelle, stand ich das erste Mal vor einer Gruppe von unbegleiteten Flüchtlingen. Mit Bildern erklärte ich den 16- und 17-Jährigen, was Klettern ist und dass ich genau diese Sportart mit ihnen betreiben will.

Ich hatte mich damals kurzfristig entschlossen, Flüchtlingshilfe zu leisten. Als NaturFreunde-Übungsleiter Sportklettern blicke ich auf eine 25-jährige Erfahrung in der Arbeit mit Jugendlichen zurück. Die Leitung des Auffangheimes unterstütze mich sofort. Denn Sport kann Frust, innere Spannungen und Langeweile abbauen, unter denen die jungen Geflüchteten in ihrer jetzigen Situation in Deutschland oft leiden. Das Asylverfahren ist langwierig und die Zukunft ungewiss.

Ich habe dann viele Kletteraktionen mit jungen Geflüchteten durchgeführt. Mit der Unterstützung anderer Kletter*innen konnten bis zu zwölf Jugendliche betreut werden. Allerdings ist bislang kein kontinuierliches Sportangebot entstanden; die Eintrittspreise der Kletterhallen sind einfach zu hoch. Hallenklettern ist teuer: Es gibt nur private Anbieter, kommunale Kletterhallen fehlen.

Dabei bietet gerade der Klettersport besonders gute Voraussetzungen für eine positive Persönlichkeitsentwicklung: Aufbau des Selbstbewusstseins, Überwindung von Ängsten, Stärkung von physischer und mentaler Kraft. Da unterscheiden sich geflüchtete nicht von deutschen Jugendlichen.

Flucht und Vertreibung bedeuten für junge Menschen in der Findungs- und Entwicklungsphase ihrer Persönlichkeit jedoch zusätzlichen Stress und Verunsicherung. In einem völlig neuen Kulturraum ist ihnen ihre bisherige Wertewelt keine Stütze mehr. Tagtäglich werden sie mit Alltagsrassismus konfrontiert. Die gewohnte Hilfe der Familie fällt häufig komplett aus.

Hier kann Klettersport als stabilisierendes Element sehr hilfreich sein. Er bietet die Möglichkeit, Minderwertigkeitsgefühle und Versagensängste abzubauen. Gleichzeitig schult er das Durchhaltevermögen, lotet persönliche Grenzen aus und kann Selbstvertrauen aufbauen.

Qenan Llumi zum Beispiel zeigte sofort Talent und Interesse. Inzwischen ist er ein anerkanntes Mitglied unter den NaturFreunde-Kletter*innen und in der Community der Kletterhalle. Nach drei Jahren des Kletterns hatte sich Qenan von einem unsicheren 16-jährigen aus Albanien geflüchteten Jugendlichen zu einem starken, selbstbewussten, jungen Mann entwickelt – mit abgeschlossener Ausbildung als Landschaftsgärtner. Er ist der Ortsgruppe Dortmund-Kreuzviertel beigetreten und hat im Mai die Qualifikation Ausbilder künstliche Kletteranlagen erworben.

Über die Bedeutung des Klettersports für seine Entwicklung sagt er: „Beim Klettern habe ich schnell Deutsch gelernt. Auch die sportliche Anerkennung tat mir gut. Ich war dann nicht der Flüchtling, sondern der Kletterer Qenan, der gerade eine geile Route durchgezogen hatte. Der Klettersport hat mir aber irgendwie auch die Kraft für die Bewältigung anderer Probleme gegeben. Die sind ja oft auch nur wie eine schwierige Kletterroute: Du fliegst raus und lernst nicht aufzugeben. Irgendwann hast du sie geschafft. So ist das auch im Leben. Vielleicht das Wichtigste, was ich beim Klettern gelernt habe.“

Dieter Staubach
NaturFreunde Dortmund-Kreuzviertel