„Naturfreundehäuser sollten barrierefrei sein“

Gespräch mit dem Präsidenten des Behindertensportverbandes Friedhelm Beucher

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Friedhelm Julius Beucher (76) ist Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes und Mitglied der NaturFreunde. Der ehemalige Rektor war von 1990 bis 2002 SPD-Bundestagsabgeordneter. Mit der NaturFreunde-Zeitschrift NATURFREUNDiN hat er sich über Barrierefreiheit im Sport unterhalten.

NATURFREUNDiN: Friedhelm, du bist seit 2009 Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes und seit 1991 Mitglied der NaturFreunde. Siehst du Gemeinsamkeiten zwischen beiden Organisationen?

Friedhelm Julius Beucher: Gemeinsam ist beiden der Einsatz für den Menschen, der Kampf für Gleichberechtigung sowie gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Auch der Sport muss seinen Beitrag leisten für Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Diversität.

Für die NaturFreunde ist die soziale Ausrichtung im Sport besonders wichtig. Tragen die Sportverbände dem ausreichend Rechnung? Oder ist vieles im Sportbetrieb zu kommerziell geworden?

Das lässt sich pauschal nicht sagen, man muss differenzieren zwischen Breiten- und Leistungssport. Natürlich gibt es Auswüchse im Profisport, etwa in der Formel 1 oder bei den Ablösesummen im Fußball, die ich für unverantwortlich halte und auch verurteile.

Mit Blick auf Olympische und Paralympische Spiele ist es zwingend notwendig, dass das International Olympic Committee (IOC) die Vergabe an der Einhaltung der Menschenrechte und an Nachhaltigkeitskriterien ausrichtet. Es darf nicht sein, dass wir für Natur- und Klimaschutz kämpfen, und dann an Orte fliegen, an denen dieser mit Füßen getreten wird. Dieser Widersinn kann auch zulasten der Attraktivität gehen. Dennoch sind die Werte des Sports und die positiven Effekte des Sporttreibens für die Lebensqualität, die Gesundheit oder das gesellschaftliche Miteinander unbestritten.

IOC-Präsident Thomas Bach wird kritisiert wegen der Vergabe großer Sportveranstaltungen oder auch seiner Nähe zu Wladimir Putin oder Xi Jingping. Wie bewertest du den Kurs des IOC?

Ohne Wenn und Aber: Sportgroßveranstaltungen gehören weder nach China und auch nicht nach Katar. Man muss nicht für mehr als eine Milliarde Dollar eine Bobbahn bauen oder Kunstschnee produzieren aus Abermillionen Litern Wasser in einer Gegend, in der es keinen Niederschlag gibt. Für mich sind das Welt-Sünden. Schluss damit!

Der Blick auf die kommenden Austragungsorte Paris, Mailand und Los Angeles stimmt mich aber vorfreudig. Diese Spiele in demokratischen Staaten geben dem IOC Zeit, die kritischen Themen anzugehen. Übrigens finden Olympische und Paralympische Spiele mindestens bis 2032 nacheinander am gleichen Ort statt, das ist bereits seit Seoul 1988 der Fall. Diese Entscheidung war ein Quantensprung für den Behindertensport.

Welche Auswirkungen hatte die Corona-Pandemie auf den Behindertensport?

Der Behindertensport ist leider überproportional von den Corona-Folgen betroffen. Die Pandemie hat zu einem drastischen Mitgliederrückgang und finanziellen Sorgenfalten geführt. Zudem hat uns Corona in unseren Bemühungen für Teilhabe und Inklusion um Jahre zurückgeworfen. Doch der Rehabilitationssport bietet vielfältige Potenziale mit Blick auf Long-Covid-Erkrankungen.

Laut Teilhabebericht der Bundesregierung treibt über die Hälfte der Menschen mit Behinderung keinen Sport. Warum ist das so?

Ein Großteil der Sportstätten in Deutschland ist mit Blick auf die Barrierefreiheit in einem katastrophalen Zustand. Unangemessen ist auch die Hilfsmittelversorgung mit Sportrollstühlen oder Sportprothesen und die Angebotslage, vor allem auf dem Land. Wir brauchen mehr Übungsleiter*innen und Vereine, die sich für Menschen mit Behinderung öffnen und Angebote machen – ohne Barrieren. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Du wirst auch als der „etwas andere Sportfunktionär“ bezeichnet, bist beliebt, weitgehend unumstritten und wurdest ohne Gegenkandidat*in wiedergewählt. Was ist der Grund für deine hohe Anerkennung?

Vielleicht, weil ich dieses Ehrenamt mit voller Leidenschaft ausübe. Der Behindertensport ist ein Thema mit hohem Identifikationspotenzial, mit großer gesellschaftlicher Bedeutung und mit tollen Menschen, die Mutmacher*innen und Vorbilder sind. Dafür setze ich mich gerne rund um die Uhr ein und kämpfe für mehr Aufmerksamkeit.

Was erwartest du von den NaturFreunden?

Konkret mit Blick auf den Para-Sport: Naturfreundehäuser sollten barrierefrei sein und der Verband sich aktiv einbringen in die gesellschaftliche Teilhabe-Diskussion im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Und gerne können alle NaturFreund*innen mit unseren Athlet*innen mitfiebern – nicht nur bei künftigen Paralympics.

Intreview: Michael Müller