Wie sich im letzten Jahrhundert die Kulturarbeit der Nature Friends of America entwickelte
Als im Jahr 1910 in New York eine erste NaturFreunde-Ortsgruppe auf amerikanischem Boden gegründet wurde, gehörten natürlich auch Aktivitäten im Kulturbereich zum Vereinsangebot. Zwei Jahre später in San Francisco war das nicht anders bei der Gründung der ersten kalifornische Gruppe. Aus diesen beiden Zentren entwickelten sich die Ost- und Westgaue der Nature Friends of America.
In den ersten Jahrzehnten praktizierten diese Gaue ihre Kulturarbeit in ganz ähnlicher Weise. Es gab Foto-, Tanz- und Musikgruppen und die Häuser wurden mit Malereien im Stil der alten Heimat verziert. Fortbildungen im Wandern und Bergsteigen gehörten ebenso zur Bildungsarbeit wie politische und sozial- sowie naturwissenschaftliche Themen. Und in den europäischen NaturFreunde-Zeitschriften beschrieb man den daheim Gebliebenen die Naturwunder der USA.
Der Regensburger NaturFreunde-Historiker Dr. Klaus-Dieter Groß hat eine 49-seitige Arbeit über die Kulturarbeit der NaturFreunde in den USA verfasst: "Between Subversiveness und Gemuetlichkeit – The Cultural Works of the American Nature Friends"
Download: http://geschichte.naturfreunde.org/2020/10/
Ab etwa 1930 erschienen eigene Veröffentlichungen zunehmend in englischer Sprache. Damals erlebten die Nature Friends in den USA ihre Hochzeit. Sie zählten sechzehn Ortsgruppen mit knapp 2.000 Mitgliedern und vierzehn Naturfreundehäusern. Mit Roosevelts New Deal (ab 1933) zur Bewältigung der Weltwirtschaftskrise hatte sich ein politisches Modell durchgesetzt, das auf einen aktiven Staat setzte. Über Hilfsprogramme für arbeitslose Künstler* und Schriftsteller*innen wurden Naturfreundehäuser und ihr Wanderumfeld einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Es gab Zuschüsse, unter anderem für die Erschließung von Wegenetzen. Sogar für das zentrale Treffen der Ost- und Westgaue 1940 in den Rocky Mountains traf man sich in einem Stützpunkt des Civilian Conservation Corps, einem öffentlichen Projekt, das unwirtliche Regionen erschloss und ökologische Maßnahmen umsetzte.
In den späten 1940er-Jahren allerdings drehte sich der Wind. Nun galt der New Deal als subversiv und Senator Joseph McCarthy begann mit seiner „Kommunisten“-Jagd, in deren Sog auch die NaturFreunde gerieten. Eine der Auswirkungen war, dass sich der Ost- und der Westgau organisatorisch wie kulturell auseinanderentwickelten.
"Alpine Popkultur" im Westen, politische Ausrichtung im Osten
In den drei Ortsgruppen Kaliforniens wurde die „Gemütlichkeit“ wichtiger als die traditionellen Bindungen an die Gewerkschaften. Neben einem umfassenden Wander- und Bergsportprogramm waren die fünf Naturfreundehäuser an der Westküste bekannt dafür, dass „das Bier kalt und das Lächeln warm“ war. Speis und Trank, alpin dekorierte Häuser in bester Wanderlage und der Volkstanz zogen keineswegs nur Deutschstämmige an. McCarthy bedrohte auch diese Gruppen, aber da der Gau seit 1940 vereinsrechtlich eigenständig war, konnten die Anfeindungen abgewehrt werden.
Im Osten hingegen war Politisches deutlicher ausgeprägt. Man war stolz auf die Auftritte bei 1.-Mai-Kundgebungen, wo man unter grünen NaturFreunde-Fahnen mit Kinderwagen, geschulterten Ski und Arbeiterlieder singend am Publikum vorbeizog. Doch mit der Bedrohung durch McCarthy drohten Berufsverbote und die Camps wurden vom FBI überwacht. Weil die Zahl der ehrenamtlichen Helfer bröckelte, entwickelten sich die Ortsgruppen auch intern auseinander.
In den 1950er- und 1960er-Jahren setzte dann vor allem das größte amerikanische NaturFreunde-Camp Midvale auf kulturelle Mittel, um sich gegen die Auflösung zu wehren. Folklegende Pete Seeger kam regelmäßig vorbei, die schwarzen Superstars Harry Belafonte und Paul Robeson traten auf und Bluesberühmtheiten wie Odetta oder Brownie McGee gaben Soli-Konzerte. Es gab Aufführungen unter dem Einfluss der experimentellen Tanzszene in New York und Exilschriftsteller wie Oskar Maria Graf und Ludwig Renn waren regelmäßig zu Gast. Letztlich konnte der Niedergang der Nature Friends im Osten der USA jedoch nicht mehr aufgehalten werden.
Camp Midvale, das heutige Weis Ecology Center in Ringwood, New Jersey, verblieb als letzte Erinnerung an eine vergangene NaturFreunde-Kultur im Osten. Die Gruppen an der Westküste dagegen leben bis heute erfolgreich und auf hohem Niveau eine „alpine“ Populärkultur vor, betreiben Natursport in den kalifornischen Hochgebirgen und profilieren sich zunehmend auch durch ein ökologisches Profil.
Klaus-Dieter Groß