Weltweit ist die Nachfrage mittlerweile größer als die abbaubaren Vorkommen
Ein grauer Tag Anfang Februar am Weserdeich in Bremen: Der Blick schweift hinüber zum anderen Ufer. In wenigen Wochen öffnet dort wieder das „Café Sand“. Erinnerungen an letztes Jahr werden wach: Ein Cappuccino auf der Terrasse, die Kinder schaufeln am Strand den goldglänzenden Sand in ihre Eimerchen.
Kaum jemand weiß, dass das, was dort durch die Finger rieselt, ein begehrter Rohstoff ist. Eine „knappe Ressource“, deren Bedeutung in Zukunft zunehmen wird. Wir haben uns zwar daran gewöhnt, dass uns in absehbarer Zeit das Erdöl ausgehen wird und Wasser in vielen trockenen Regionen der Welt ein extrem knappes Lebensmittel ist.
Doch Sand? Den gibt es doch „wie Sand am Meer“, also im Überfluss? Diese Binsenweisheit stimmt schon lange nicht mehr. Denn Sand und Kies sind die am meisten abgebauten Rohstoffe der Welt. Sand ist ein Star unseres industriellen und elektronischen Zeitalters.
Sand steckt in vielen Alltagsprodukten
Sand besteht vorwiegend aus Siliziumoxid. Ohne Silizium gäbe es die Mikroprozessoren in unseren Elektrogeräten nicht. Aus Sand wird Glas gemacht. Für Solarzellen und für Smartphones wird Silizium benötigt. Darüber hinaus steckt Sand, ohne dass wir uns dessen bewusst sind, in vielen Alltagsprodukten – vom Putzmittel über Kosmetika bis hin zur Zahnpasta.
Vor allem aber wird Sand verbaut. Eine Schippe Zement plus drei Schippen Sand, vermischt mit Wasser, ergibt Beton: Ohne Sand wäre modernes Bauen undenkbar. Mehr als 60 Prozent des weltweiten Gebäudebestands bestehen heute aus Beton. Im Jahr 2014 schlussfolgerte ein Report des UN-Umweltprogramms: „Sand ist knapper, als man denkt. Wir schätzen den derzeitigen Verbrauch auf 50 Milliarden Tonnen pro Jahr – das sind 18 Kilogramm täglich für jeden Einwohner der Erde.“
Nicht jeder Sand eignet sich für die Bauindustrie
Doch Sand ist nicht gleich Sand. Sand, wie er von der Bauindustrie in großen Mengen nachgefragt wird, verlangt nach Korngrößen, wie sie nur der Sand aus Meeren, Seen und Flüssen aufweist. Demgegenüber ist der reichlich vorhandene Wüstensand zur Betonherstellung denkbar ungeeignet. Seine Körner wurden vom Wind so glatt und rund geschliffen, dass sie sich kaum verhaken und nicht genügend haften. Beton kann so keine ausreichende Bindung erlangen.
Deshalb wird für die ehrgeizigen Megabauprojekte in Dubai oder Abu Dhabi auch kein Sand aus der umliegenden Wüste genutzt. So wurde der begehrte Rohstoff zum Bau des derzeit höchsten Gebäudes der Welt – das Burj Khalifa in Dubai – aus dem weit entfernten Australien herangeschafft. Mit fatalen Folgen für Umwelt und Natur.
Der globale Bedarf an Sand hat eine Größenordnung erreicht, die durch natürliche Verwitterung nicht mehr gedeckt werden kann. In vielen Regionen führt der Abbau an Sand und Kies mittlerweile zu massiven Schäden. Leistungsstarke Schwimmbagger holen Tonne um Tonne vom Meeresgrund. Mit der Konsequenz, dass Küsten erodieren und Schutzmechanismen, die eigentlich Stürme und Tsunamis abhalten, außer Kraft gesetzt werden. Flussbetten sinken ab und empfindliche Ökosysteme in Ozeanen, Seen und Flüssen werden zerstört.
Ganze Inseln sind verschwunden
Weil die Sandgewinnung ein lukratives Geschäft ist, kommt es zudem auch zum illegalen Raubbau. In Indonesien sind aufgrund des massiven Abbaus ganze Inseln verschwunden. Doch kann die Nachfrage verringert, die „Ressource Sand“ geschont werden? Gibt es Alternativen?
Die Wiederwendung und -verwertung von bereits genutzten Baumaterialien ist sicherlich eine der wichtigsten und Erfolg versprechendsten Methoden. Auch hier ist eine konsequente Kreislaufwirtschaft einzufordern. Aber auch der Verzicht auf Beton gehört zu den Lösungsmöglichkeiten. So entsteht in der norwegischen Kleinstadt Brumunddal derzeit das weltgrößte Hochhaus aus Holz. Mit seinen 18 Stockwerken wird es über 80 Meter hoch.
Das Wichtigste ist aber, sich des Themas „Sand“ und unserer Abhängigkeit von diesem bewusst zu machen. Sand gehört auf die Agenda der sozial-ökologischen Transformation, für deren Umsetzung sich die NaturFreunde starkmachen.
Denn auch in Zukunft soll für die Kinder am Weserstrand noch genügend „Rohstoff“ vorhanden sein, den sie in ihre Eimer schaufeln können.
Joachim Nibbe