Wir müssen die Militarisierung der Welt stoppen!

Der NaturFreunde-Bundesvorsitzende Michael Müller warnt vor einem neuem Wettrüsten

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21 Kriege und 216 bewaffnete Konflikte bedrohen heute die Welt. Im Scheinwerfer stehen der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und der brutale Terroranschlag auf Israel, beide mit unkalkulierbaren Folgen, zumal daraus ein Weltordnungskrieg zu werden droht. Das Fazit, das die vom damaligen schwedischen Ministerpräsideten Olof Palme geleitete UN-Kommission „Gemeinsame Sicherheit“ 1982 aus der atomaren Bedrohung gezogen hat, ist wichtiger denn je: Die Welt braucht eine gemeinsame Sicherheit, besonders Europa und der Nahe Osten.

Neun Staaten verfügen über 12.512 Atomwaffen, allein die USA und Russland sind im Besitz von 11.133 Sprengköpfen – landgestützt, in Flugzeugen oder auf Booten. Die USA haben letztes Jahr 43,7 Milliarden US-Dollar ausgegeben, um ihre Atomarsenale zu erweitern und die Waffensysteme zu modernisieren. Dabei wird auch an der Entwicklung von Mini-Nukes gearbeitet, die die Schwelle zum Einsatz von Nuklearwaffen senken. Neues Denken ist das nicht.

Wie nah die Menschheit der atomaren Selbstvernichtung war, haben wir meist erst viel später erfahren. So setzte sich im Oktober 1962 U-Boot-Kommandant Wassili Archipow über die Dogmen des Kalten Krieges hinweg und verhinderte einen Dritten Weltkrieg. Genauso mutig weigerte sich Oberstleutnant Stanislaw Petrow im September 1983, einen Atomkrieg der damaligen Supermächte UdSSR und USA auszulösen.

Ein Klick lädt die NATURFREUNDiN 4-23 als PDF (10 MB).Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht in der Ausgabe 4-23 der NATURFREUNDiN, dem Mitgliedermagazin der NaturFreunde Deutschlands.

Archipow war während der Kubakrise Offizier der sowjetischen Marine auf dem nuklear bestückten U-Boot B-59. US-Zerstörer wollten B-59 in der Quarantänezone um Kuba zum Auftauchen zwingen. Als Reaktion darauf hatte die UdSSR-Führung den Abschuss von Atomtorpedos vorgegeben. Dafür war die Zustimmung von drei Offizieren notwendig. Nur Archipow lehnte die Freigabe ab und überzeugte Kapitän Sawizki zum Auftauchen, um den Befehl zum Abschuss in Moskau zu hinterfragen. Tatsächlich war es bereits zu einer politischen Verständigung zwischen den Supermächten gekommen. Ohne das mutige Handeln Archipows, der die Befehlskette missachtete, wäre aus der Kubakrise wohl ein Nuklearkrieg geworden.

Petrow war vor 40 Jahren verantwortlicher Offizier im sowjetischen Raketenabwehrzentrum. Das Jahr 1983 markierte den Höhepunkt des atomaren Wettrüstens, das Gleichgewicht des Schreckens war beispiellos. Und doch galt ein Atomkrieg als eine realistische Option. Am 26. September meldete der Computer des Zentrums den Anflug einer amerikanischen Atomwaffe auf die UdSSR. Petrow hätte nach dem Befehlsprotokoll sofort handeln und der Einsatzzentrale einen Atomangriff melden müssen. Er zweifelt aber. Der Abschuss „nur“ einer Rakete ergab für ihn keinen Sinn. Die Lage spitzte sich zu. Der Computer meldete, begleitet von lautem Sirenengeheul, den Anflug von insgesamt fünf Atomraketen, allerdings war keine auf dem Radar zu erkennen. Im Abwehrzentrum drängten alle Petrow zu einer Reaktion, aber er zögerte und ging zu Recht von einem Fehlalarm aus. Wie es zu diesem kam, blieb ungeklärt, Ursache waren vermutlich Reflektionen von Sonnenlicht. Beide Vorgänge wurden erst Jahre später öffentlich.

Und es gab weitere Fälle: Im November 1962 führte auf der japanischen Insel Okinawa ein fehlerhafter Funkspruch beinahe zum Einsatz von 32 Atomraketen, doch der befehlshabende US-Offizier blieb misstrauisch. Im November 1983 wurde das Nato-Manöver Able Archer anfangs vom Warschauer Pakt als Vorbereitung eines Atomkrieges fehlinterpretiert. Immer wieder stand die Welt am Rande eines Atomkrieges. Albert Einstein warnte: Die Atombombe hat alles verändert, nur nicht das Denken der Menschen.

Wir leben im gefährlichsten Jahrzehnt seit Ende des Zweiten Weltkrieges mit eskalierenden militärischen Auseinandersetzungen und stark steigenden Militärausgaben. Daher müssen wir die Militarisierung der Welt stoppen. Das ist die wichtigste Aufgabe unserer Zeit, zumal uns ein Jahrhundert massiver Verteilungskämpfe droht – zwischen Ökonomie und Ökologie, zwischen Arm und Reich, zwischen Nord und Süd, zwischen Jung und Alt.

Die Welt hat die Wahl zwischen Aggression und Gewalt oder einer Friedensagenda und der sozial-ökologischen Gestaltung der Transformation. Unsere Zeit braucht Kooperation und Vernunft, wie sie Wassili Archipow und Stanislaw Petrow in zugespitzten Konfliktsituationen gezeigt haben.

Michael Müller
Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands