Der Raubbau an der „Ressource Sand“

Ein Sinnbild für die Dezimierung der natürlichen Lebensgrundlagen

© 

Der Ressourcenschutz gehört zu den Kernaufgaben einer zukunftsorientierten Umweltpolitik. Dies ist mittlerweile eine Binsenweisheit. Schließlich hat die Eroberung der Erde durch den Menschen in den vergangenen Jahrzehnten ein nie dagewesenes Niveau erreicht. Und vieles spricht dafür, dass die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen weiter steigen wird. Straßen, Bahnstrecken, Flugplätze und Bergbau nehmen immer größere Flächen des Planeten ein. Dies lenkt den Blick auf eine begrenzte Ressource, die von der Öffentlichkeit bisher kaum wahrgenommen wurde: die Ressource Sand.

Sand scheint zu den Dingen zu gehören, die schier unbegrenzt vorhanden sind. Dabei wird er zunehmend knapper. Kein anderer Stoff wird in so großem Umfang genutzt wie Sand. Er wird zum Bau von Häusern und Staudämmen ebenso benötigt wie zur Herstellung von Hightechprodukten. Die  Begrenztheit wird erst auf den zweiten Blick sichtbar, da nur bestimmte Sande technisch nutzbar sind. Die reichlich vorhandenen Wüstensande gehören gerade nicht dazu.

Sand ist nicht gleich Sand. Gut 70 Prozent allen Sandes besteht aus Quarz, also aus Siliziumdioxid (Kieselerde). Ihm gilt das Hauptinteresse des Sandabbaus. Es gibt Bausand, der aufgrund seiner kantigen Quarz-Körner überwiegend für Beton verwendet wird. Mit seinen runden und abgeschliffenen Körnern ist Wüstensand dagegen zum Bauen ungeeignet. Marine Sande sind Sande, die vom Meeresboden geholt werden. Sie sind von ähnlicher Zusammensetzung wie die Bausande und kommen sehr häufig vor. Zur Herstellung von Beton müssen sie aber erst in einem aufwendigen und kostspieligen Verfahren vom Salz befreit werden. Sie werden daher in erster Linie zur Landgewinnung genutzt.

Industriesand ist eine Sandart, die einen deutlich höheren Quarzanteil als Bausand aufweisen muss. Dieser besteht zu mehr als 95 Prozent aus Siliziumdioxid. Er wird für anspruchs vollere Aufgaben wie etwa die Glasherstellung genutzt. Hochreine Quarzsande mit einem Siliziumanteil von 99 Prozent und mehr dienen vor allem zur Herstellung von Halbleitern und Mikrochips sowie von Fotovoltaikelementen. Beides sind Produktbereiche, die in den letzten Jahren ein starkes Wachstum aufwiesen.

Nahezu in jedem Land wird heute Sand gewonnen. Dies lässt den Sandabbau oft als klein und unbedeutend erscheinen. Die Entnahme von Sand ist jedoch unweigerlich ein Eingriff in die Natur. Sie vernichtet den Lebensraum von Wildtieren, verseucht Flüsse, zerstört landwirtschaftliche Flächen und die marine Umwelt.

Den Wachstumszwang überwinden

Als Reaktion auf den voranschreitenden Sandabbau haben Regierungen in aller Welt immerhin damit begonnen, die Sandförderung zu regulieren und Abbaustätten zu begrenzen. Auch haben Akteur*innen der Rohstoffbranche erkannt, dass Schadensbegrenzung nötig ist. Manche Unternehmen agieren umweltbewusster als andere und nutzen Abbaumethoden, die der Natur zuträglicher sind. Das sind erste, aber keineswegs ausreichende Schritte.

Der ungebremste Raubbau an der Ressource Sand geht vor allem auf den vermeintlichen Wachstumszwang in modernen Gesellschaften zurück. Dem wirtschaftlichen Mantra des „Schneller, Höher, Weiter“ folgt der überwiegende Teil der Verantwortlichen und blendet Alternativen von vornherein aus. Neue Ansätze, die sich am Primat des Handelns innerhalb der planetarischen Grenzen orientieren und Ressourcenschonung durch eine konsequente Anwendung des Kreislaufwirtschaftsprinzips erreichen, werden als „utopisch“ oder „wirtschaftlich nicht realisierbar“ abgetan. Dabei wird meist auf technischen Fortschritt als Allheilmittel gesetzt und zugleich der Staat für gesellschaftliche Folgekosten in die Verantwortung genommen.

Dem setzen die NaturFreunde eine neue Verantwortungsethik entgegen, die sich dem Regime der kurzen Frist entzieht und die Fernwirkungen menschlichen Handelns beachtet. Ressourcenabbau und Zerstörung der Biodiversität sind kein unabwendbares Schicksal. Naturverhältnisse sind Teil der gesellschaftlichen Verhältnisse. Diese können durch strukturelle Reformen oder radikale Umbrüche geändert werden. An die Stelle quantitativen Wachstums muss ein Weg der nachhaltige Entwicklung treten. Dann ist Ressourcenschonung möglich – auch die Schonung der Ressource Sand.

Joachim Nibbe