Ein Zwischenruf von Michael Müller aus dem Anthropozän
Es ist ein Irrtum, die Menschheit sei sich ihrer Zukunft gewiss. Um den Herausforderungen einer radikal veränderten Welt gerecht zu werden, sind neue Antworten notwendig. Denn seit der Industriellen Revolution ist die menschliche Zivilisation zur stärksten Kraft geo-ökologischer Veränderungen aufgestiegen – vergleichbar mit den Naturgewalten selbst. Die Evolution wird in neue Bahnen gezwungen. Dadurch stehen Politik und Kultur vor völlig neuen Herausforderungen, denn die Natur schlägt mit einer noch größeren Gewalt zurück.
Wir leben im Anthropozän, im menschlich gemachten Neuen. Planetarische Grenzen werden überschritten. Dieser Zustand unseres Planeten muss vor dem Hintergrund weiterer 1,5 Milliarden Menschen, des Hyperkonsums, der nachholenden Industrialisierung großer Schwellenländer und der sozialen Ungleichheit gesehen werden. Klimawandel, Peak-Oil, Ernährungskrisen und Artenzerstörung drohen zum Ground Zero der Moderne zu werden.
Unser Jahrhundert wird entweder ein Jahrhundert erbitterter Verteilungskämpfe und entfesselter Gewalt oder es wird ein Jahrhundert der Nachhaltigkeit, in dem wirtschaftlich-technische Innovationen mit ökologischer Verträglichkeit und sozialer Gerechtigkeit verbunden werden. Dafür werden heute die Weichen gestellt.
Nachhaltigkeit wurde in Deutschland 1713 von dem sächsischen Berghauptmann Carl von Carlowitz eingeführt, um den natürlichen Reichtum der Wälder zu schützen. Im Brundtland-Bericht der Vereinten Nationen wurde diese Idee zum regulatorischen Prinzip für die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft. Von der Zukunft her entscheiden, das ist die Antwort auf die Frage, die sich wieder in aller Schärfe stellt: „Wie ist Fortschritt möglich?“
Nachhaltigkeit beschreibt Weg und Ziel einer sozial-ökologischen Transformation. Sie bricht mit dem Regime der Kurzfristigkeit und Ausbeutung der Natur, das eng mit fossilen Brennstoffen, modularem Massenkonsum, industrialisierter Landwirtschaft und der Verslumung von Megacities verbunden ist.
Von daher brauchen wir ein explizit utopisches Konzept, das von den ökologischen Grenzen des Wachstums ausgeht und mehr Demokratie und Gerechtigkeit verwirklicht.
Das ist das, was die NaturFreunde antreibt, das ist unsere Geschichte.
Michael Müller
Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands