Lernen, mit dem Wolf zu leben

Ein Interview mit dem schleswig-holsteinischen Wolfsbetreuer Stefan Rathgeber

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NATURFREUNDiN: Herr Rathgeber, Sie sind Wolfsbetreuer. Was machen Sie genau?

Stefan Rathgeber: Zu meinen Aufgaben zählt die Spurensuche von Wölfen, ich protokolliere Wolfsmeldungen und Spurenfunde. Außerdem nimmt die Beratung und Information von Bürger* innen einen breiten Raum ein, zum Beispiel im Rahmen von Infoständen.

Wie wird man Wolfsbetreuer*in?

Eingeführt wurde dieses Ehrenamt im Rahmen der Gründung des Wolfsmanagements. Verschiedene Verbände haben dem schleswig-holsteinischen Landesamt für Umwelt und Landwirtschaft geeignete Leute vorgeschlagen, manche haben sich auch freiwillig gemeldet. In Schleswig- Holstein gibt es derzeit 71 ausgebildete ehrenamtliche Wolfsbetreuer*innen.

Wie viele Wölfe leben in Schleswig-Holstein?

Aktuell treten zwei verschiedene Wölfe regelmäßig in Erscheinung und gelten mit mehr als sechsmonatiger Aufenthaltsdauer als resident. Von weiteren ein bis zwei umherwandernden Wölfen ist zudem auszugehen.

Sind Sie eigentlich selbst schon einmal einem Wolf direkt begegnet?

Ja, bei einem Ausflug nach Mecklenburg-Vorpommern im Mai 2015. Damals bin ich auf einen Wolf gestoßen. Meine Freude war riesig und ein Belegfoto konnte ich zumindest auch noch aufnehmen. Der Wolfsrüde transportierte gerade eine Rehkeule im Maul.

Können Wölfe Menschen gefährlich werden?

Biologisch gesehen: ja. In der Realität meiden die Wölfe aber den Menschen, weil der sich ganz anders verhält als seine Beutetiere. Wölfe nehmen den Menschen eher als Bedrohung für sich war und meiden daher den Kontakt – was in unserer Landschaft natürlich nicht vollständig zu verhindern ist. Nachgewiesene und dokumentierte Wolfsübergriffe hat es in Deutschland vor allem dank der Ausrottung der Tollwut seit über 100 Jahren nicht gegeben.

Zuletzt häuften sich Meldungen, nach denen Wölfe Nutztiere rissen. Sind Wölfe eine Gefahr für die Tierhaltung?

Es ist nie gut, wenn Haustiere leiden oder sterben müssen, ob nun durch andere Ursachen oder eben durch Wölfe. Wir können den Tierhaltern helfen, ihre Herden gegen Angriffe zu schützen. Immer mehr Schafhalter nehmen das Angebot des Umweltministeriums an und schützen sich mit dem zur Verfügung gestelltem Zaunmaterial gegen die bisher wenigen Wölfe. Sollte es doch mal zu Schäden kommen, helfen wir den Landwirten, die Entschädigungen zu bekommen.

Soll der Abschuss von Wölfen in Deutschland zum Schutz von Nutztieren erleichtert werden?

Ein eindeutiges Nein! Wir müssen lernen, mit dem Wolf umzugehen und dafür sollte vielmehr der Anpassungsprozess der Tierhalter großzügig unterstützt werden. Diejenigen Wölfe, die wiederholt sichere Umzäunungen überwinden, große Schäden in Tierherden anrichten oder sich aggressiv gegenüber Menschen verhalten, können bereits heute mithilfe einer Ausnahmegenehmigung geschossen werden. Dafür braucht es keine Gesetzesänderung, das ist schon angewendete Praxis.

Was sollten Tierhalter tun, um zum Beispiel ihre Schafherden vor Wölfen zu schützen?

Einen wolfssicheren Zaun aufstellen! Der sollte am besten 1,20 Meter hoch und Strom führend sein. Wer in Risikogebieten Tiere hält, sollte sich von uns Wolfsbetreuer*innen oder in Schleswig-Holstein auch dem Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume beraten lassen.

Wie greifen Wölfe in Ökosysteme ein, wenn sie zum Beispiel Rehwild oder Wildschweine reißen, die in Forst- und Landwirtschaft teilweise große Schäden hervorrufen?

Der Wolf ist ein Spitzenprädator, so wie der Löwe oder auch der Hai. Das bedeutet: Wölfe stehen an der Spitze der Nahrungskette. Damit sind die Wölfe in jenen Regionen, in denen sie zurückgekehrt sind, die natürlichen Regulatoren von Wildbeständen. Diese Funktion hatte nach der Ausrottung der Wölfe hierzulande die Jägerschaft übernommen. Aber der Wolf kann das viel besser. Die Zeit ist gekommen, dass der Wolf als natürlicher Faktor nun wieder das Zepter in die Schnauze nehmen kann und die Jägerschaft ergänzt.

Interview: Eckart Kuhlwein