Mit Marx zum Zukunftsverein

Wie die NaturFreunde durch das Wandern zur erneuten Menschwerdung verhalfen

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„Dem Proletariat war die Erkenntnis gekommen, dass es gleich dem jungen Frühling die Macht hat, die Nacht zu überwinden. Die Waffe dazu gab ihm Karl Marx. Es war ein ganz einfaches Instrument und hieß Solidarität, Zusammenschluss, Einigkeit.“

So heißt es 1928 im Maiaufruf der Pfälzischen NaturFreunde. Gleichwohl dürften sich die meisten NaturFreund*innen nicht als Marxist*innen bezeichnet haben. Hatte nicht Marx selbst gesagt, er sei kein Marxist, sondern Sozialist?

Die NaturFreunde waren ab ihrem Gründungsjahr 1895 eine Selbsthilfeorganisation der sozialistischen Arbeiterbewegung. Sie kämpften als „freie Assoziierte“ (Kommunistisches Manifest) für die Verbesserung ihrer Lebenswelt, für Arbeitszeitverkürzung, für den Achtstundentag – „geführt von den Worten Karl Marx ‚Proletarier aller Länder vereinigt euch‘“, so die sächsischen NaturFreunde 1923 in ihrem Maiaufruf.

Heute kaum vorstellbar: Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnisse ließen den Menschen zum Arbeitstier herabsinken, das nach Meinung der Gründer der NaturFreunde in der ständigen Gefahr stand, in Kneipen und beim Würfelspiel den Rest seiner menschlichen Würde zu verlieren. Aus diesen beengten und zersetzenden Verhältnissen wollten die NaturFreunde herausführen in die Natur und durch ihre Anschauung und Studium ihrer Gesetzmäßigkeiten zur Selbstfindung und erneuten Menschwerdung verhelfen.

Naturgesetze zur Befreiung der Klasse nutzen

Wie Marx wollen die NaturFreunde sich die Natur nicht unterwerfen, sondern verstehen den Menschen als Teil der Natur, deren Gesetze sie durchdringen und zur Befreiung der eigenen Klasse nutzen wollen. Theo Müller, Vorsitzender der NaturFreunde im Rheinland, schrieb im Jahr 1926: „Wir nennen uns mit berechtigtem Stolze eine Kulturorganisation der links stehenden Arbeiterschaft […]. Viele Wege mögen zur geistigen Befreiung führen, aber alle müssen sie über die Naturwissenschaft zum Sozialismus.“

In der praktischen Tätigkeit der NaturFreunde ging es erst einmal um näherliegende Dinge. Es galt das freie Wegerecht für Proletarier zu erkämpfen, Privilegien des Adels und des Bürgertums zu brechen und mit den Naturfreundehäusern eigene, aber selbst organisierte touristische Stützpunkte zu schaffen. So blieben sie für alle erschwinglich und ermöglichten unkontrollierte politische Betätigung.

Die NaturFreunde führten dazu Massenwanderungen als politische Demonstrationen durch, errichteten Hunderte Naturfreundehäuser, legten wissenschaftliche Sammlungen an, organisierten Abertausende Vorträge – etwa zur Bedeutung der Lehre Darwins – und trieben Natursport. Das zog allerdings nicht nur überzeugte Sozialist* innen an.

Nach äußerst erfolgreicher Mitgliederwerbung häuften sich im Verband Klagen über „Nur-Wanderer“ und es wurden entsprechende Mahnungen ausgesprochen. Die Leipziger Entschließung der NaturFreunde stellte 1924 dann auch klar: „Der Touristenverein Die NaturFreunde ist die internationale Wanderorganisation des arbeitenden Volkes. Sie strebt eine sozialistische Kultur an. Es ist daher die Pflicht aller Glieder des Vereins, bei jeder sich darbietenden Gelegenheit die Tendenz des Vereines in unzweideutiger Weise zu betonen.“

Der Faschismus setzte der Entwicklung der NaturFreunde jäh ein Ende. Sie wurden offiziell mit der Begründung verboten, es handele sich um eine „marxistische Organisation“. Nach der Neugründung im Jahr 1945 fanden die NaturFreunde in den 1950er-Jahren dann zurück zu Marx.

Hans-Gerd Marian