Nachhaltigkeit für alle

NaturFreunde und AWO wollen Teilhabe benachteiligter Menschen fördern

Die Nachfrage nach fair hergestellten Produkten wächst. In weiten Teilen der deutschen Mittelschicht ist der Trend zum ökologisch bewussten Lebenswandel angekommen. Von der Entwicklung zu mehr Ökologie und Nachhaltigkeit sind allerdings oft die Menschen ausgeschlossen, die finanziell mit wenig auskommen müssen. Wenn jeder Cent umgedreht werden muss und die Finanzierung des Alltags in Stress ausartet, werden Fragen zu nachhaltigen Lebens- und Konsumentscheidungen schnell zum Luxusproblem.

Drei Projektregionen
Wie aber können sozial benachteiligte Menschen an nachhaltigen Lebens- und Konsumstilen teilhaben? Mit dieser Herausforderung beschäftigt sich seit Anfang Oktober 2014 ein gemeinsames Projekt der Bundesverbände der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der NaturFreunde. Es läuft bis März 2016 und wird vom Umweltbundesamt gefördert. In vorerst drei Projektregionen – Rheinland-Pfalz, Berlin und Bielefeld – sollen dabei entsprechende Lösungen für unterschiedliche Zielgruppen entwickelt werden.

Die theoretische Grundlage des gemeinsamen Projektes bilden wissenschaftliche Erkenntnisse, denen zufolge bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht am Trend zu nachhaltigen Lebensstilen teilhaben. Das können zum Beispiel Menschen mit niedrigem Bildungsgrad, mit Migrationshintergrund oder auch erwerbslose Jugendliche sein. Entsprechende Studien beziehen sich dabei auf die sogenannten SINUS-Milieus und damit auf Zielgruppen-Typologien, die neben soziodemografischen Kriterien auch grundlegende Wertorientierungen erfassen. Insbesondere die sogenannten „Konsum-Materialisten“ sowie die „Hedonisten“ gelten dabei als besonders schwer erreichbar und werden inzwischen auch als prekäres Milieu bezeichnet.

Dabei entsteht folgendes Phänomen: Weil diese gesellschaftlichen Gruppen für die Nachhaltigkeitsdebatte so schwierig zu erreichen sind, kümmern sich entsprechende Kampagnen und Initiativen kaum mehr um sie und grenzen sie damit faktisch aus. Gleichzeitig sind sie nicht wirklich interessant als Zielgruppen für nachhaltige Angebote, weil ihnen schon jetzt ein sehr kleiner ökologischer Fußabdruck zugeschrieben wird. Das kann man in etwa so verstehen: Wer von Hartz IV lebt, fährt normalerweise keinen Sprit schluckenden SUV oder fliegt für eine Party nach Barcelona. Weder muss er also motiviert werden, klimaschädliche Aktivitäten zu reduzieren, noch würde er sich überhaupt ein anderes Automodell oder eine Klimakompensation leisten können.

Allerdings sollte ein aus materieller Not erzwungener sparsamer Lebensstil keinesfalls den Ausschluss aus gesellschaftlichen Debatten legitimieren. Im Gegenteil: Ein sozial-ökologischer Wandel der Gesellschaft kann nur gelingen, wenn gesellschaftliche Leitbilder – und hier insbesondere der Konsum – verändert werden und neue soziale Praktiken und Kulturtechniken in Alltagshandeln überführt werden. Zwei wichtige Stichpunkte sind dabei Teilhabe und Zusammenarbeit.

Anbau von Gemüse im Workshop lernen
Entsprechend den Bedürfnissen der Teilnehmer werden in diesem Projekt Workshops angeboten, in denen nachhaltige Praktiken gelernt werden können. Wie baue ich Gemüse selbst an? oder: Wie spare ich beim Kochen Strom? Geplant ist auch: Wie gestalte ich kostenfrei meine Freizeit, zum Beispiel in der Natur?

Dann geht es um Naturerlebnisse mit den NaturFreunden. Denn ein Ziel des Teilhabeprojektes ist die Nachhaltigkeit der Projektidee selbst: Auch die Kooperation zwischen NaturFreunden und AWO vor Ort soll nachhaltiger werden, damit das Projekt immer wieder angeboten werden kann.

Denn der großen Idee der Nachhaltigkeit kann man sich am besten über alltägliche Praktiken annähern, die möglichst oft wiederholt werden. So lassen sie sich am besten im Alltag verankern und entwickeln eine dauerhafte Wirkung.

Carola Bass
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 1-2015.