Im Interview: die Friedensforscherin Dr. Sabine Mannitz vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung
Frau Mannitz, Sie arbeiten im Vorstand eines der größten Friedensforschungsinstitute in Deutschland. Ist Sicherheit eine Frage der richtigen Bewaffnung?
Sabine Mannitz: Was Sicherheit bedeutet, ist selbst unter Expert*innen umstritten. Mit dem Begriff der menschlichen Sicherheit verbindet sich zum Beispiel auch Nachhaltigkeit, der Zugang zu Ressourcen sowie die Freiheit von Angst. Sicherheit wird heute also viel umfassender verstanden als noch vor 20 bis 30 Jahren. Bewaffnung und militärische Verteidigung betrifft nur einen Teil von Sicherheitspolitik.
Wir erleben alljährlich auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dass Politiker*innen behaupten, es brauche dringend mehr Waffen, damit die Menschen sicherer leben. Warum regt sich dagegen so wenig Widerspruch, wenn das doch für ein ganzheitliches Verständnis von Sicherheit eher fehl am Platz ist?
Man muss genau hinhören und Aussagen von Interpretationen unterscheiden. Die Forderung, Deutschland solle außenpolitisch mehr Verantwortung übernehmen, muss nicht zwingend so gedeutet werden, dass Deutschland mehr Militär in alle Welt schicken sollte. Davon abgesehen reichen in einer Reihe von Konflikten zivile Mittel schlicht nicht. Militäreinsätze können zivile Aufbauhilfe nicht ersetzen, aber sie sind teilweise nötig, um die Voraussetzungen für Friedensprozesse zu schaffen.
Ähnlich ist es mit der Diskussion um das Ziel der NATO, nach dem die Mitglieder zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Sicherheitspolitik ausgeben sollen: Das bedeutet nicht gleich, dass das Geld komplett in Waffen fließen würde. Die aktuelle Diskussion um dieses Finanzziel wird meiner Einschätzung nach dazu führen, dass auf NATO-Ebene über die Angemessenheit neu verhandelt wird. Es ist wichtig zu klären, in welchem Verhältnis Militäreinsätze zu anderen Formen des Engagements stehen sollen.
Zur Zeit des NATO-Doppelbeschlusses demonstrierten Hunderttausende gegen Aufrüstung und die Drohung mit dem Einsatz atomarer Waffen. Warum schwächelt die Friedensbewegung?
Nicht nur der Sicherheitsbegriff ist komplexer geworden, sondern auch die Weltlage: Wir haben heute ja nicht mehr zwei Supermächte, die sich gegenüberstehen, sondern viele aufstrebende Staaten mit unterschiedlichen Interessen – und mit Waffensystemen, die in den 80er-Jahren exklusiver verfügbar waren. Das macht es heute schwieriger, eine eindeutige Position zu beziehen. Rüstungswettlauf und Entspannungspolitik waren im Kalten Krieg das Thema.
Heute konkurrieren viel mehr Themen um unsere Aufmerksamkeit, auch die Formen von Protest sind vielfältiger geworden. Demonstrieren ist – wie wir an den Freitagsaktionen der Schüler*innen sehen – immer noch ein Mittel, um Protest sichtbar zu machen. Aber viele Forderungen werden heute auch in Form von Internet-Kampagnen kommuniziert.
Fühlen sich die Menschen von einem möglichen Schlachtfeld Europa nicht mehr so betroffen wie noch im Kalten Krieg?
Das ist möglich. Lange Zeit war Europa relativ stabil. Dadurch ist eventuell aus dem Blick geraten, dass dieser Zustand nicht irreversibel ist. Mit der Aufkündigung des INF-Vertrages kommt das Thema allerdings zurück. Andererseits ist Europa nicht der einzige Ort auf der Welt, um den man sich Sorgen machen muss, und es ist auch positiv, wenn die Menschen heute einen weiteren Horizont haben. Es gibt eine Vielzahl gefährlicher Konflikte auf der Welt, es gibt globale Zusammenhänge und eine globale Öffentlichkeit.
Was ist Ihre Empfehlung für die heutige Friedenspolitik?
Es braucht eine neue globale Anstrengung zur Rüstungskontrollpolitik, da hat Außenminister Heiko Maas recht. Bilaterale Verhandlungen zwischen Supermächten reichen nicht mehr aus. Es müssen möglichst viele Länder an einen Tisch, um die Rüstungsbegrenzung zu einer vertrauensbildenden Maßnahme werden zu lassen. Eine wichtige Rolle spielen bei den Rüstungskontrollregimen ja die Verifikationen vor Ort: Die Bereitschaft, andere Länder in die eigenen Arsenale hineingucken zu lassen, ist ein Teil von Vertrauensbildung. Deutschland sollte dies im UNO-Sicherheitsrat auf die Agenda setzen.
Interview: Maritta Strasser