Der politische Holzschneider

Ein Bericht über die außergewöhnliche Beziehung zwischen HAP Grieshaber und den NaturFreunden – von Bernhard Löffler, Geschäftsführer der DGB-Region Nordwürttemberg

Das erste Mal begegnete ich HAP Grieshaber Ende der 1970er-Jahre. Als Mitglied der Landesleitung der Naturfreundejugend Württemberg organisierte ich damals eine Jugendkonferenz in Eningen, einer kleinen Gemeinde östlich von Reutlingen.

Einer unserer Gäste war der Eninger Künstler Helmut Andreas Paul (HAP) Grieshaber. Gemeinsam mit der Naturfreundejugend Eningen wollte Grieshaber auf der Konferenz Mappen mit politischen Drucken verkaufen. Dabei hatte er bereits an Hochschulen gelehrt, Kunstpreise und Auszeichnungen erhalten und sogar auf der documenta ausgestellt. Der Erlös sollte an ein Solidaritätsprojekt gespendet werden. Das alles imponierte mir mächtig.

Damals sammelte die Naturfreundejugend regelmäßig Hilfsgelder für Projekte etwa in Südafrika oder Chile. Unter anderem verkauften junge NaturFreunde auf Flohmärkten alles, was sich irgendwie zu Geld machen ließ. Auch bei HAP Grieshaber hatte die Eninger Naturfreundejugend schon angeklopft: Vielleicht wollte er einige seiner Drucke signieren, so wären sie wertvoller?

Grieshaber signierte nicht nur, die Naturfreundejugend hatten auch einen Gleichgesinnten getroffen. „Wir waren dann öfter bei HAP“, berichtete Günter Fleisch, damals Leiter der Naturfreundejugend Eningen.

Ein homme engagé

Der 1909 geborene Grieshaber war nach dem Zweiten Weltkrieg zum erfolgreichen bildenden Künstler geworden, bekannt insbesondere für seine großformatigen abstrahierenden Holzschnitte. In seiner fast 50-jährigen künstlerischen Arbeit revolutionierte er diese uralte Ausdrucksform und gab ihr seine eigene unverwechselbare Handschrift. Sein Wirken hatte ganz unterschiedliche Facetten: christliche Motive, Liebespaare, Natur- und Friedensmotive, Abbildungen seiner Heimat.

Grieshaber lässt sich vielfältig interpretieren. In erster Linie aber war er ein politischer Mensch: „Ich bin ein homme engagé, für den es selbstverständlich ist, dass eine Sache nur dann einen Wert hat, wenn sie politisiert worden ist“, so Grieshaber.

Ausstellung: Ungesehenes aus den Beziehungen von HAP Grieshaber ∙ noch bis zum 25. Oktober im Stuttgarter Gewerkschaftshaus (Willi-Bleicher-Haus) ∙ Willi-Bleicher- Straße 20 ∙ 70174 Stuttgart ∙ MO–FR 8–20:00 Uhr

25.9.2019 ∙ 18:00 Uhr Die Zusammenarbeit von HAP Grieshaber mit den NaturFreunden ∙ Erzählungen, Anekdoten und Geschichten im Stuttgarter Gewerkschaftshaus (Willi-Bleicher-Haus) ∙ (s.o.)

Das Buch zur Ausstellung Kurt Femppel (Hrsg.): Grieshaber: Malgreé tout – Der politische HAP Grieshaber; 160 Seiten, viele Grafiken sowie Informationen über den Künstler; 2019; ISBN 9783939775713; 32 Euro (Vorzugsausgabe mit Original- Holzschnitt: 90 Euro); Auslieferung auch über den Herausgeber: k@femppel.de

Er pflegte intensive Beziehungen zu Gewerkschaften, NaturFreunden, der Friedensbewegung und dem Antifaschismus. Zu den NaturFreunden waren die Beziehungen besonders eng: Denn genau an seinem Wohnort fand er in der Eninger Naturfreundejugend den Widerhall, der zu ihm passte – lebensfroh und bunt, kraftvoll und engagiert.

Seine künstlerischen Arbeiten zum Erhalt der natürlichen Umwelt oder seine Wut über die Ungerechtigkeiten in der Welt – etwa die Apartheid in Südafrika oder die Diktaturen in Chile und in Griechenland – trafen auf die Naturfreundejugend, welche sich mit ähnlichen Themen beschäftigte. „Wann immer der Grieshaber Unrecht empfand, hat er sich eingeschaltet“, sagte Günter Fleisch.

Als der Haushaltsausschuss des Bundestages die finanzielle Zuwendung von Jugendmitteln an die Naturfreundejugend wegen angeblicher „kommunistischer Unterwanderung“ sperrte, gab es große Proteste und Unterschriftenaktionen. Natürlich unterschrieb auch Grieshaber. Die Sperrung wurde letztlich wieder aufgehoben.

„Ein Trieb der Natur ist hier am Werk“

Zu ihrem 50-jährigen Jubiläum bat die Eninger Ortsgruppe HAP Grieshaber, das NaturFreunde-Logo in Holz zu schneiden. Grieshaber sagte zu und schrieb über das Vereinszeichen:

„[...] Vor allem das Ausmaß von Gefühl, das uns durch das Auge geboten wird. Das Gefühl sich schließender Hände. Noch sind die beiden Hände nicht fest geschlossen, sie gleiten – eine Männer- und eine Frauenhand – sanft ineinander. Wir sehen, hier wird ein Bund geschlossen, hier wird nicht grob zugepackt und festgehalten, eine sanfte Gewalt, ein Trieb der Natur ist hier am Werk. Wir können es nachfühlen. [...].“

Stolz ist man bei den Eninger NaturFreunden heute noch auf den 70. Geburtstag Grieshabers. Während sich der Künstler nämlich bei hochoffiziellen Gratulanten hatte verleugnen lassen, waren die 40 jungen NaturFreunde herzlich willkommen, als sie abends mit Fackeln zum Atelier zogen. „Wir sangen Arbeiterlieder und wurden mit Kaviar und Sekt bewirtet.“

HAP Grieshaber starb am 12. Mai 1981 in Eningen. Zum NaturFreunde-Bundeskongress 1983 in Heilbronn erstellte die württembergische Delegation eine Grieshaber-Ausstellung aus dem Besitz von Mitgliedern und Naturfreundehäusern. Viele NaturFreund*innen haben noch Werke des Künstlers.

Nach meiner ersten Begegnung mit HAP Grieshaber habe auch ich mich mit seinem Werk auseinandergesetzt. Kunst und politischer Ausdruck: Diese Kombination fand ich damals faszinierend – und finde es auch heute noch. Denn sie passt außergewöhnlich gut zu den NaturFreunden.

Bernhard Löffler
Geschäftsführer der DGB-Region Nordwürttemberg (die auch die Grieshaber-Ausstellung in Stuttgart organisiert)