Der Naturschutz als soziales Projekt

Warum die NaturFreunde ökologische Ziele mit sozialer Demokratie verbinden

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Den Begriff Naturschutz in seiner heutigen Bedeutung verwendete zuerst der Tierpräparator und Naturforscher Philipp Leopold Martin. Das war im Jahr 1871. Zu den Ideengebern gehörten auch Hans Carl von Carlowitz, Alexander von Humboldt und Johann Matthäus Bechstein.

Im Naturschutz bildete sich allerdings auch ein rechtskonservatives Potenzial heraus, das überwiegend antidemokratisch, antisemitisch und völkisch war. Dessen Ursprünge reichen zurück bis zu den Anhänger*innen der „Konservativen Revolution“ im deutschen Kaiserreich. Rechte Politiker wie Paul Förster behaupteten, dass Juden eine große Gefahr seien für die „deutsche Volksseele“ und die „deutsche Natur“. 1933 wechselten die meisten Naturschützer*innen dann direkt ins braune Lager. Die reaktionäre Grundhaltung der Überlegenheit der „germanischen Rasse“ ließ sich problemlos mit der nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologie verbinden.

Dagegen standen die NaturFreunde. Sie verfolgten das Ziel einer sozialen Aneignung der Natur, wozu auch der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gehörte. Sie organisierten Ausstellungen zur Natur-, Kultur- und Sozialgeschichte und prägten so das Bild eines aufklärerischen, lebensreformerischen und pazifistischen Verbandes. „Durch Wandern zum Wissen“ war damals ein beliebter Leitspruch bei den NaturFreunden.

1933 allerdings begann die systematische Zerschlagung der Arbeiterorganisationen. Auch die NaturFreunde wurden verboten. Die Scheidelinie war das soziale und demokratische Verständnis unseres Verbandes, das ihn insbesondere in den 1920er-Jahren sehr attraktiv für viele Menschen gemacht hatte. NaturFreund*innen verbanden mit der Natur einen selbstverwalteten Freiraum außerhalb der Städte und Fabriken.

Einheitlich waren die Positionen der grünen Roten, wie die NaturFreunde auch genannt werden, allerdings nicht. Ein Konflikt verlief damals insbesondere zwischen der fränkischen Reichsleitung und vielen NaturFreunde-Gauen. Im Vorstand gab es vornehmlich neoromantische und volkstümliche Heimatschützer. Viele NaturFreunde-Gaue hingegen wurden von Aufklärer*innen und Reformer*innen geprägt, die den Wert der Natur herausstellten und auch naturrevolutionäre Positionen vertraten.

Beide Strömungen waren schon 1895 zur Vereinsgründung vertreten. Während Gründungsmitglied Georg Schmiedl eher eine naturromantische Auffassung vertrat, sah Karl Renner, ebenfalls Gründungsmitglied und später Staatspräsident und Regierungschef Österreichs, in den NaturFreunden hingegen ein politisches Gegengewicht zu den alpinen Vereinen des Bürgertums. Renner zufolge sollten sie „Arbeiter zum kritischen Sehen und Denken“ veranlassen und mit ihrer genossenschaftlichen Organisation der Freizeit ein solidarisches Leben mit der sozialen und natürlichen Mitwelt begründen.

Dieser Unterschied zeigte sich auch in einem gegensätzlichen Verständnis von Sinn und Zweck des Wanderns. In Teilen wurden Boden, Mensch, Landschaft und Volkstum – interpretierbar als Anlehnung an den völkischen Heimatschutz – als „natürliche Einheit“ verstanden. Die Mehrheitsmeinung war freilich eine andere: Wandern als sozialpolitisches Konzept. Das Soziale Wandern wurde bewusst und erkenntnisreich verbunden mit Antimilitarismus und einer Bildungsbewegung für die Solidarität ausgebeuteter Menschen mit der ausgebeuteten Natur.

Erst Ende der 1960er-Jahre, mit dem Aufkommen der Friedens- und Antiatombewegung, wurde Umwelt- und Naturschutz mehrheitlich ein linksliberales Thema und zu einer starken gesellschaftlichen Kraft. In beiden Bereichen waren die NaturFreunde ihrer Zeit voraus. Bereits seit den 1920er-Jahren hatten sie Veranstaltungen gegen Krieg und für Frieden organisiert. Und schon 1959 organisierten sie die erste Antiatomdemonstration in Offenbach.

Heute müssen wir wieder wachsam sein. Eine neue Epoche, das Zeitalter des Anthropozän, beginnt. Und eine neue alte Rechte versucht, den Naturschutz wieder für sich zu vereinnahmen. Erneut geht es deshalb darum, ökologische Ziele mit sozialer Demokratie zu verbinden.

Michael Müller
Bundesvorsitzender NaturFreunde Deutschlands