Den Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP bewertet Michael Müller, Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands:
Der Koalitionsvertrag hat Licht und Schatten. Er enthält viele richtige Einzelpunkte, doch ihm fehlt ein Gesamtkonzept.
Der Vertrag steht unter dem Anspruch „Mehr Fortschritt wagen“. In Anlehnung an Willy Brandt und seinem Versprechen „Mehr Demokratie wagen“ versuchen die Koalitionäre aus SPD, Grünen und FDP eine Politik der inneren Reformen einzuleiten.
Innere, denn nach außen ist der Vertrag in vielen Teilen enttäuschend, ja massiv korrekturbedürftig. Das gilt insbesondere für die versäumte Chance, an die große Idee der „Gemeinsamen Sicherheit" anzuknüpfen, die Olof Palme im Jahr 1982 der UNO vorgelegt hatte. Es gibt auch kein Nein zu Drohnen und kein Ziel für die Abrüstung.
Die NaturFreunde Deutschlands hätten sich eine klare gesellschaftliche Festlegung gewünscht, die auf der Höhe der Zeit ist. Offenkundig ist die Erdsystemforschung für alle drei Parteien ein Fremdwort, denn die neue geologische Erdepoche des Anthropozän wird im Koalitionsvertrag nicht einmal erwähnt. Dabei ist sie der naturwissenschaftliche Rahmen, von dem aus Politik Schlussfolgerungen zu ziehen hat und Perspektiven entwickeln muss. Der Kern heißt: Die Menschheit nähert sich bedrohlich dem Punkt, an dem unser Planet gegen die menschlichen Eingriffe in einer Weise rebelliert, dass die Existenz der Menschheit infrage gestellt ist.
Das Anthropozän fordert jede der drei Parteien heraus: die SPD, weil Ökologie ohne mehr soziale Gerechtigkeit nicht möglich ist; die Grünen, weil sie ihre umweltpolitischen Forderungen endlich gesellschaftspolitisch einordnen und fortentwickeln müssen; die FDP, weil mehr Liberalität und Demokratie unverzichtbar sind, um die Gesellschaft umzubauen. Und alle drei Parteien müssten die Leitidee gemeinsam verfolgen. Hiervon ist leider nichts zu lesen.