Buchbesprechung | Tatort Kongo – Prozess in Deutschland

Ruandische Völkermordmilizen vor deutschem Gericht

© 

Von 2011 bis 2015 wurde vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht gegen den Chef der Hutu-Miliz FDLR (Forces Démocratiques de Libération du Rwanda) und seinen Stellvertreter verhandelt. Die FDLR, die im Ostkongo für zahlreiche Massaker an der kongolesischen Bevölkerung verantwortlich war, ging aus der ruandischen Armee hervor, die maßgeblich am Völkermord von 1994 an den Tutsi beteiligt war.

Nach dem Einmarsch der Tutsi-Rebellen, darunter der heutige ruandische Staatschef Kagame, waren hunderttausende Hutu geflohen und hatten im Ostkongo einen Exilstaat gegründet, der mit der Rückeroberung Ruandas drohte. Nach dem Einmarsch der neuen ruandischen Armee 1996 kam es zu einer Zerschlagung dieses Exilstaates und zur Rückkehr vieler geflüchteter Hutu nach Ruanda. Dort wurden sie mit einer geschickten Versöhnungspolitik wieder eingegliedert, während die Haupttäter des Völkermordes juristisch bestraft wurden.

Dominic Johnson, Simone Schlindwein, Bianca Schmoll: Tatort Kongo – Prozess in Deutschland. Die Verbrechen der ruandischen Miliz FDLR und der Versuch einer juristischen Aufarbeitung. Berlin: Christoph Links Verlag, 2016. 504 S., 30 € (Eine Lizenzausgabe für 4,50 € ist bei der Bundeszentrale für politische Bildung erhältlich.)

Durch den Konflikt Ruandas mit der anfänglich befreundeten kongolesischen Regierung von Laurent-Désiré Kabila gewann die geschlagene Hutu-Armee wieder an Bedeutung und unterstützte nun Kabila. In diesem Krieg intervenierten unter anderem auch Angola und Zimbabwe auf der Seite Kabilas und verwandelten vor allem den Osten des Kongos in ein Schlachtfeld.

Als 2001 Joseph Kabila seinem ermordeten Vater als Regierungschef folgte, wendete sich wieder das Blatt für die 2000 gegründete FDLR. Der UN-Sicherheitsrat verlangte 2001 die Demobilisierung der FDLR. Im November 2005 verhängte die UN Sanktionen gegen deren Führer, da diese die Demobilisierung hintertrieben. Erst zu diesem Zeitpunkt leiteten deutsche Behörden Ermittlungen gegen Ignace Murwanashyaka ein, den seit 1989 in Deutschland lebenden Präsidenten der FDLR. 2009 wurde er zusammen mit seinem Stellvertreter verhaftet und 2015 wegen seiner Beteiligung als Vorgesetzter an den Massakern der FDLR-Truppen im Ostkongo 2008/9 zu dreizehn Jahren Haft verurteilt. Die stark geschwächte FDLR-Truppe kämpfte weiter.

Soweit eine vereinfachte Darstellung der in dem Buch geschilderten Ereignisse. Doch auch auf die Vorgeschichte des Völkermords 1994 wird eingegangen. Der britische Kolonialforscher Speke erfand die sogenannte Hamiten-Theorie, die katholische Missionare verbreiteten. Nach dieser historisch widerlegten Theorie stammen die Tutsi von Ham ab, einem der Söhne Noahs, und unterwarfen die Hutu. Belgien, das 1916 das Deutsche Reich als Kolonialmacht ablöste, privilegierte einige Tutsi, während die katholische Kirche eine Hutu-Gegenelite schuf, die mit der Unabhängigkeit 1962 die Macht übernahm und die Tutsi-Minderheit diskriminierte – der Ausgangspunkt für den Völkermord 1994, dessen Ablauf und Ursachen in dem Band ebenfalls ausführlich geschildert werden.

Bemerkenswert ist die starke Verwicklung Deutschlands in die Vorgeschichte des Völkermords, etwa die Rolle katholischer Kreise, die sich unter anderem für Murwanashyaka einsetzten. Auch schulte die Bundeswehr spätere Täter des Völkermords.  

Die Autoren beschreiben aber auch den komplexen Prozess, der Möglichkeiten und Grenzen der Bestrafung eines Völkermordes aufzeigt. Eine erschütternde Lektüre, die einen wenig bekannten Aspekt der deutsch-afrikanischen Beziehungen auslotet.

Peter Bräunlein, NaturFreunde Ulm