Die Geschichtsprofessorin Rebekka Habermas von der Georg-August-Universität in Göttingen analysiert in „Skandal in Togo“ einen Konflikt im togolesischen Atakpame, der sogar im Jahr 1906 im Reichstag debattiert wurde. Er zeigt die Machtstrukturen in der deutschen Kolonie überzeugend auf.
Der Stationsvorsteher Georg Schmidt hatte nicht nur ein minderjähriges Mädchen aus einer einflussreichen Familie vergewaltigt, sondern auch nach einer Beschwerde einen Chief verhaftet, der wenig später verstarb, möglicherweise als Folge der Haftbedingungen. Der ehrgeizige Kolonialbeamte war zudem maßgeblich an einem Baumwollanbauprojekt beteiligt, das nach Arbeitsverweigerung der lokalen Bevölkerung letztlich scheiterte.
Bekannt wurde Schmidts Verhalten durch in Atakpame stationierte Missionare der katholischen Steyler Mission, denen es über Kontakte zur katholischen Zentrumspartei gelang, die Vorgänge zu skandalisieren, wobei im Mittelpunkt allerdings der Sexskandal stand und nicht die ausufernde Zwangsarbeit, gegen die die lokalen Führungsschichten mehrfach durch Petitionen und Artikel in einer Zeitschrift aus dem heutigen Ghana protestierten.
Habermas stellt aber nicht nur den Konflikt detailreich vor, der typisch für den deutschen Kolonialismus war, sich aber ganz ähnlich in den benachbarten britischen und französischen Kolonien hätte zutragen können. Sie analysiert vielmehr die Konfliktparteien und die Wahrnehmung der Konflikte in Deutschland und Togo.
Auf der einen Seite stand eine schwache deutsche Kolonialverwaltung aus meist protestantischen Militärangehörigen, oft Adligen, die die Bevölkerung durch eine „Erziehung zur Arbeit“ kulturell „heben“ wollte. Tatsächlich handelte es sich dabei um Zwangsarbeit, die auf den passiven Widerstand der togolesischen Bevölkerung stieß. Diese wanderte zum Teil ab oder verweigerte die Arbeit. Die drakonischen Strafmaßnahmen der Kolonialverwaltung standen auf recht wackligen juristischen Füßen. Weder gab es eine ausgearbeitete Kolonialgesetzgebung, noch eine effiziente Kontrolle der Kolonialbeamten.
Auf der anderen Seite standen katholische Missionare, oft aus bescheidenen Verhältnissen, die kurz nach dem Bismarckschen Kulturkampf von den protestantischen Kolonialbeamten misstrauisch beobachtet wurden. Die Missionare verstanden sich als selbsternannte „Anwälte der Eingeborenen“ und führten ohne juristische Kompetenz eigene Untersuchungen durch. Sie propagierten das Ideal einer katholischen Familie, in der die Frauen zu Hause bleiben und die Männer die Feldarbeit machen sollten – das Gegenteil der oft polygamen lokalen Familien, in denen Frauen oft beachtliche Möglichkeiten hatten. Zudem war die togolesische Bevölkerung stark differenziert, wobei afrobrasilianische Familien erheblichen Einfluss hatten.
Das Sachbuch macht klar, dass auch in Togo der deutsche Kolonialismus bei der Bevölkerung nicht nur wenig beliebt war, sondern es auch zu Widerstand dagegen kam, etwa durch Arbeitsverweigerung, das Zurückhalten von Informationen und Abwanderung. Die Deutschen vor Ort waren einerseits oft brutal, aber andererseits weit schwächer, als ihr Selbstbild vermuten ließ. Die Missionare waren zumindest anfangs wenig erfolgreich. Auch das Zentrum, das neben der SPD Kolonialskandale thematisierte, stellte den Kolonialismus prinzipiell nicht in Frage. In der deutschen Öffentlichkeit waren die Sexskandale in den Kolonien im Gespräch, die Proteste gegen die Zwangsarbeit wurden kaum thematisiert. In Togo entwickelte sich aus den verschiedenen Protesten allmählich eine kolonialismuskritische Öffentlichkeit, die auf radikale Reformen etwa durch gesicherte juristische Verhältnisse drängte, aber bis zum Ende der deutschen Kolonialzeit schwach blieb.
Insgesamt ein lesenswertes Buch, nicht nur für Togo-Fans.
Peter Bräunlein, NaturFreunde Ulm