Mirek Prokeš, der Sprecher der Prager NaturFreunde, hatte Schriesheimer NaturFreunde zur Radtour der Sternfahrt "Stezka" (Pfad) des akademischen Wandervereins eingeladen. Wir nahmen gerne an dieser geführten Tour an der March (tschechisch Morava, die Namensgeberin der gleichnamigen Region, die zu deutsch Mähren heißt) teil. Dies ist unser Bericht:
4. Mai
6:45 Uhr: Treffpunkt am Bahnsteig des Zuges. Das bedeutet für uns Anreise nach Prag am Vortag. Nach knappem Umstieg in Ústí nad Orlicí kommen wir in Lichkov im Altvatergebirge an. Dort treffen wir neben einigen bekannten Gesichtern auch drei NaturFreunde aus Jablonec (Gablonz an der Neiße), einer tschechischen Ortsgruppe mit immerhin 240 Mitgliedern.
Wir sehen den Gipfel, der im Polnischen "Trojmorski Wierch" – Dreimeeresgipfel – heißt und der die Wasserscheide zwischen Nordsee, Baltikum und Schwarzmeer bildet. Dort entspringt die March, bis dort hinauf führt uns unsere Tour aber nicht. Bald jedoch gesellt sie sich als murmelnder Bach zu uns. Auf verkehrsreichen Straßen merken wir bald, dass "Überholen bei Gegenverkehr" vom Kraftverkehr mit wechselndem Geschick beherrscht, aber doch immer wieder probiert wird. In Hrabová grüßt uns eine Kirche der Böhmischen Brüder, erbaut vor fast 100 Jahren im funktionalistischen Stil.
Úsov, unser Etappenziel, grüßt hingegen mit einem zur Burg umgebauten Schloss. Eine renovierte Synagoge zeugt von der Zeit, als sich unter vier Einwohnern einer zum Judentum bekannte. In einem Klubraum der örtlichen Schule können wir unsere Matten und Schlafsäcke ausrollen.
5. Mai
Heute lässt uns die mäandrierende Morava wieder an sich ran, über ihren verzweigten Armen wölbt sich Wald, in dem uns ab und zu der Pirol nachpfeift. Böhmen hatte sein goldenes Zeitalter vor den Niederlanden und den mittelitalienischen Städten; ähnlich wie dort hat sich der Bürgerstolz darin geäußert, dass die höchsten Türme nicht unbedingt zu Gotteshäusern gehören.
In Litovel, einer Stadt von 10.000 Einwohnern, ist der Rathausturm höher als die stolze Augsburger Rathausfront. Das Gymnasium, das der Widerstandskämpfer Jan Opletal besuchte, liegt in einem Park, der nach einem Tornado neu gestaltet werden musste. Eine Gedenksäule kündet davon.
Viel zu wenig Zeit bleibt uns in Olomouc, das viele architektonische Schätze versammelt. Wir zählen die Heiligenfiguren auf der größten Pestsäule, die 38 Jahre bis zu ihrer Vollendung brauchte. Weiter geht es auf eine Pause bei Naturfreund Kvetoš, der schon mit uns auf dem Neckar und der Otava paddelte und der uns jetzt in seinen Garten zu mährischem Wein eingeladen hat.
Unser Ziel für heute ist Kromeřiž, das sich zu Olomouc verhält wie Bruchsal zu Speyer: Hier stehen die Lustschlösser und -gärten der Bischöfe. Übernachtet wird in einem Sportzentrum im Judo-Dojo. Praktisch, Matten liegen schon flächendeckend aus.
6. Mai
Wir besichtigen die Mauer, die das jüdische Ghetto von Rest der Stadt trennte, und die Schlösser und Kirchen. Anstatt des Gartens (Unesco-Welterbe) besuchen wir aber eine Gartenmesse.
Originell hier: Berühmten Personen der tschechischen Geschichte wurden Blumengebinde gewidmet. Gregor Mendel wird mit einem Mosaik aus Erbsen gehuldigt, Tomaš Baťa mit einem Gesteck in Form eines Schuhs, und bei Karel Gott hat man wohl auf den Nachnamen abgezielt: Die Blumen formen ein Auge in der Pyramide. Baťa formte nicht nur die Füße von Millionen seiner Kundinnen und Kunden, sondern auch die Landschaft. Er ließ bei Zlín nicht nur eine Schuhfabrik errichten, sondern auch Gummiverarbeitung, eine Gerberei, und ein Kraftwerk. Für den Transport der Braunkohle zu letzterem wurde ein Kanal von 30 km Länge gegraben, den entlang wir nun radeln.
Perfekt asphaltierte Freizeitwege werden dankbar angenommen, Inline-Skater schieben Kinderanhänger zu einem Biergarten, den es ohne diese Freizeitinfrastruktur nicht gäbe. Bei einer anderen Pause nehmen wir ein Bad in einem Baggersee. Für Hallo an der nahen Jausenstation sorgt ein Hochradfahrer, der eine von uns auch mal kurz auf sein Gefährt lässt. Übernachtung diesmal in einem Kindergarten in Stražnice.
7. Mai
Zunächst kommen wir an den Verladepunkt der Braunkohle am Baťa-Kanal. Aus aufgeböschter Höhe wurden Kippmuldenwaggons angehoben, sodass ihr Inhalt in die 38 Meter langen Kähne rutschte. Der Verladeturm wurde renoviert, Infotafeln, von denen es viele in diesem Land gibt, klären über Geschichte und Technik auf. Wer den Kanal damals anlegte, ahnte wohl nicht, dass er damit ein Stück Staatsgrenze definieren würde, aber nun ist auf dem anderen Ufer die Slowakei, die wir kurz besuchen. Später bildet die Morava die Staatsgrenze.
In Hodonín besuchen wir einen jüdischen Friedhof, die Stadt durchqueren wir rasch. Wir nähern uns dem ehemaligen frühesten Zentrum der Machtausübung von tschechoslowakischen Boden aus, dem Großmährischen
Reich. Im frühen Mittelalter umspannte es eine Region zwischen dem Balaton und Meißen. Kyril und Metod christianisierten von hier aus viele Slawenvölker. Die zentrale Siedlung auf mehreren Inseln nahe Mikulčice wurde von 2.000 Menschen – Militärs, Würdenträger, Handwerker – bewohnt. Von einem Aussichtsturm kann man die Ausdehnung des Gebietes im flachen Auenland ermessen. Nahe dem Jagdschloss Pohansko sind an der Grenze zu Österreich Gefechtsstellungen zu besichtigen, welcherart die Tschechoslowakei entlang fast der gesamten Grenze errichtete. Als die Tinte unter den Münchener Verträgen trocknete, wurden die Stellungen kampflos geräumt.
In Břeclav übernachten wir, wie langweilig, im Wanderheim. Letzter Abend mit unseren Gastgebern, es wird noch viel gesprochen und auch etwas Wein getrunken.
Vielen Dank an Mirek, der uns so viel zur Geschichte seines Landes zeigen und berichten konnte! Wir haben Kontakte vertieft, viel erfahren und sind uns sicher: Wir haben uns nicht das letzte Mal getroffen.
Johannes Hüsing
NaturFreunde Schriesheim