„Auch Aktivist*innen macht das Klettern Spaß“

Wie ein Dortmunder NaturFreunde-Trainer politische Kletteraktionen unterstützt

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Dieter Staubach (71) ist Mitglied der Ortsgruppe Dortmund-Kreuzviertel und hat die Qualifikationen Trainer C – Alpinklettern, Hochtouren und Sportklettern. Im Interview mit unserer Mitgliederzeitschrift NATURFREUNDiN erklärt er, wie er Aktivist*innen im Dannenröder Wald unterstützt.

NATURFREUNDiN: Im Dannenröder Wald in Hessen kam es im letzten Jahr zu großen Protesten gegen den Weiterbau einer Autobahn. Was war da los?

Dieter Staubach: Kern des Geschehens war die Besetzung des Waldes, um die Rodung der Trasse für die geplante A 49 zu verhindern. Dabei wurden auch circa 100 Baumhäuser gebaut. Es gab Kundgebungen, dort hat auch unser Bundesvorsitzender Michael Müller die Rodungen verurteilt. Und sogar Igor Levit, der weltbekannte Konzertpianist, hat im Wald gespielt. Alles für die Verkehrswende und den Klimaschutz. Viele Menschen aus der Region waren auch aus Sorge um ein großes Trinkwasserreservoir unter dem Wald aktiv.

Du warst selbst im Wald und hattest Klettermaterial dabei. Warum?

Als Spende für die Baumhaus-Aktivist*innen. Ich bin da gewissermaßen Wiederholungstäter, übrigens immer mit Unterstützung von vielen Aktiven aus meiner Ortsgruppe. Schon für den Hambacher Wald hatte ich bei uns Material gesammelt. Dieses Mal kamen so unter anderem 1.500 Meter gebrauchte Kletterseile zusammen. An der eigentlichen Situation hat sich ja auch nichts verändert: Politik und Wirtschaft marschieren immer weiter Richtung Klimakatastrophe.

Ist das Klettern am Fels und das Klettern auf Bäumen überhaupt vergleichbar?

Im Prinzip schon. Es geht immer zuerst um die Sicherungstechnik. Klettertechnisch ist es natürlich etwas anderes, ob du dich an einem Ast oder an einem Felsvorsprung hochziehst. Die Bewegungsmuster sind aber meist die gleichen. Bei politischen Aktionen tritt zudem das sportliche Moment eher in den Hintergrund. Aber auch Aktivist*innen macht das Klettern Spaß.

Welche Sicherungstechniken sind da besonders nützlich?

Die Sicherungstechnik beim Klettern ist komplex und in den Ausbildungslehrgängen von zentraler Bedeutung. Welche Kräfte wirken im Falle eines Sturzes wie auf welche Sicherungspunkte. In den alpinen Verbänden hat man sich auf bestimmte Sicherungsstandards geeinigt. Die werden natürlich auch von den Aktivist*innen angewendet, denn es gibt ja auch aktive Sportkletter*innen unter ihnen, die ihr Wissen dann weitergeben.

Gib bitte ein Beispiel.

Der Prusikknoten wird oft gebraucht. Das ist ein Klemmknoten, der als Rettungsknoten für Alpinisten erfunden wurde. Unter Belastung zieht er sich zu, unter Entlastung kann er verschoben werden. Beim „Prusiken“ werden zwei Reepschnurschlingen mit dem Prusikknoten an einem fixierten, frei hängenden Seil angebracht. Man tritt in die Schlingen und kann sich nun, wechselseitig die Schlingen belastend, nach oben arbeiten. Die Aktivist*innen erreichen so ihre Baumhäuser. Bei der Technik gibt es auch ein paar Tricks, die ich ihnen gezeigt habe.

Kletternde Aktivist*innen sieht man heute eher bei Greenpeace oder Robin Wood. War das früher anders bei den NaturFreunden?

Zumindest gibt es bei uns eine lange Tradition, den Klettersport auch politisch einzusetzen. In den 1930er-Jahren zum Beispiel haben NaturFreund*innen Menschen, die von den Nazis verfolgt wurden, über das Elbsandsteingebirge in die Tschechoslowakei geschleust und Drucksachen zurück nach Nazideutschland geschmuggelt. In den 1980er-Jahren war ich dann selbst dabei, als NaturFreund*innen eine riesige Friedenstaube in eine Felswand gemalt, den Elbrus im Kaukasus mit Friedensfahne bestiegen oder auch bei der großen Friedensstafette von Flensburg nach Garmisch die Zugspitze bestiegen haben.

Das ist lange her.

Ja, heute hätten wir mit unseren vielen gut ausgebildeten Kletter*innen auf jeden Fall genug Möglichkeiten, um mit spektakulären Kletteraktionen öffentlichkeitswirksame politische Aktionen zu machen. Aber in der Tat sind einige andere Organisationen da viel weiter. Auch wenn die gar keine eigene Kletterausbildung haben.

Hast du eine Erklärung dafür?

Ansätze vielleicht. Ein Grund ist sicherlich die immer stärkere Leistungsorientierung unserer Gesellschaft, die natürlich auch auf den Verbandssport ausstrahlt. Vielen geht es nur um Schwierigkeitsgrade. Politisches Engagement ist da eher hinderlich. Dann hört man aber auch bei uns im Verband, Politik habe im Sport nichts zu suchen. Das ist ja eine legitime Geisteshaltung, entspricht aber eher nicht dem Profil der NaturFreunde-Bewegung. Selbst im Spitzensport ist die Politik ja längst angekommen. Und nicht zuletzt engagiert man sich nur, wenn man eine gewisse Sinnhaftigkeit darin sieht. Vermutlich bräuchte es auch mehr Vorbilder im Verband.

Du hast selbst mehrere Trainer-Lizenzen bei den NaturFreunden gemacht. Wie bewertest du die Qualität unserer Kletterausbildung?

Unsere Ausbildung ist auf dem neuesten Stand der Entwicklung und unser Bundeslehrteam sehr professionell. Meine eigenen Ausbildungen liegen ja schon ein wenig zurück, aber wir Übungsleiter*innen müssen alle zwei Jahre eine Weiterbildung machen. Das ist alles top organisiert.

Interview: Samuel Lehmberg