„Wir wollen die Dekarbonisierung der Gesellschaft in allen Sektoren“

Frauke Gehrau von der Naturfreundejugend hofft auf einen Politikwechsel

© 

Frauke Gehrau (26) ist Mitglied der Bundesleitung der Naturfreundejugend Deutschlands und arbeitet als Büroleiterin einer brandenburgischen Landtagsabgeordneten. Unser Mitgliedermagazin NATURFREUNDiN hat mit ihr über das Leben mit der Klimakrise gesprochen.

NATURFREUNDiN: Die Titelgeschichte unserer Septemberausgabe skizziert, wie stark unser Leben in dreißig Jahren vom Klimawandel geprägt sein wird. Was geht dir dabei durch den Kopf?

Frauke Gehrau: Ich muss zugeben, ich beschäftige mich nicht so gerne mit den Details des Klimawandels. Zu wissen, dass die eigene Zukunft so aussehen wird, drückt wahnsinnig aufs Gemüt. Das geht vielen jungen Menschen so.

Spätestens seit den Überschwemmungen im Juli wird plötzlich überall mehr Klimaschutz gefordert. Was fordert die Naturfreundejugend?

Die Dekarbonisierung der Gesellschaft in allen Sektoren. Umfassend. Wir glauben aber, dass das nur funktioniert, wenn sich die Gesellschaft auch sozial-ökologisch transformiert und es eine Abkehr vom ständigen Wirtschaftswachstum gibt. Für uns gehört dann auch dazu, dass die Demokratisierung vorangetrieben wird, etwa durch  mehr Mitsprache in der Wirtschaft sowie – und das ist uns sehr wichtig – mehr Jugendbeteiligung. Zum Beispiel, indem das Wahlalter abgeschafft wird. Wenn mehr Jugendliche wählen könnten, würde die Politik auch langfristiger denken.

naturfreundin_3-21-1_titel_0.jpgDie Septemberausgabe 2021 des NaturFreunde-Mitgliedermagazins NATURFREUNDiN hat sich in der Titelgeschichte mit dem Leben in der Klimakrise beschäftigt.

Lies auch zu diesem Thema:
Wie der Klimawandel unser Leben im Jahr 2050 verändern wird
Warum Umweltpolitik jetzt zur Gesellschaftspolitik werden muss
Nach dem Regen
Wo Bundestags-Kandidat*innen Stellung zum Klimaschutz beziehen müssen

Ihr habt euch schon 2019 für ein stärkeres Ordnungsrecht ausgesprochen und ein Verbot von Privat-PKW ab 2025 gefordert. War es das jetzt mit der Freiwilligkeit im Klimaschutz?

Über das Verbot von Privat-PKW haben wir damals lange diskutiert. Aber dann wollten wir auch mal einen Punkt machen und zeigen, wie dringend es in der Klimakrise ist. Seit gut 30 Jahren ist nun bekannt, dass die Menschheit etwas gegen die Erderhitzung tun muss. Eine ganze Generation hatte also Zeit für Freiwilligkeit. Und wir sehen, wohin uns das geführt hat. Ich möchte aber betonen, dass die großen Weichen nur von Politik und Wirtschaft gestellt werden können. Die Verantwortung auf die einzelne Person zu schieben, ist ein Ablenkungsmanöver.

Glaubst du, dass sich der Klimawandel noch stoppen lässt? Unser Bundesvorsitzender Michael Müller sagt, dass wir heute erst die Effekte der Emissionen von vor vier Jahrzehnten spüren. Geht es möglicherweise nur noch um die Anpassung an die Folgen?

Nein, dann würden wir uns aus der Verantwortung stehlen. Unsere Gesellschaft gehört ja zu den größten Emittenten von Treibhausgasen. Wir müssen nach einer Anpassungsstrategie suchen und die Emissionen drastisch mindern. So hoffe ich, dass wir das Schlimmste noch verhindern können.

Beim Klimastreik im September vor zwei Jahren haben allein in Deutschland 1,4 Millionen Menschen mitgemacht. Kohlendioxid reduziert hat dann aber Corona. Und das Klimaschutzgesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht kassiert. Was muss passieren, damit Forderungen der Jugend echte politische Faktoren werden?

Richtig, was muss eigentlich noch alles passieren ... Entwicklungen in der Gesellschaft verlaufen ja selten linear. Meine große Hoffnung ist, dass es bald zu einem Politikwechsel kommt und dass wir dann eine gesellschaftliche Hauruck-Aktion hinbekommen: alle zusammen fürs Klima.

Michael Müller fordert, dass die Umweltpolitik in die Mitte der Gesellschaft rücken muss.

Klimaschutz muss definitiv eine Querschnittsaufgabe werden. Der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen sollte ja eigentlich im Interesse jeder Person sein. Aber gleichzeitig finde ich, dass wir ehrlicher zueinander sein müssen. Immer wieder wird gesagt, man könne nicht einfach alles von heute auf morgen ändern. Corona hat dann aber gezeigt, dass wir ja doch alles ändern können, wenn wir nur wirklich wollen, sehr, sehr schnell sogar. Natürlich wäre es zum Beispiel hart, alle Autos bis 2025 abzuschaffen. Aber wir könnten es tun. Ich frage mich, ob wirklich allen die Dringlichkeit der Klimakrise bewusst ist und wirklich alle die Zukunft der jungen Generation retten wollen.

Ihr helft wieder bei der Organisation des Klimastreiks am 24. September mit, der die Bundestagswahl zur Klimawahl machen möchte. Glaubst du, das kann funktionieren?

Ich glaube, dass die Naturkatastrophen in diesem Jahr die Wahl prägen werden. Klimagerechtigkeit ist für mich allerdings nur ein – wenn auch ein sehr wichtiger – Teil meines Gerechtigkeitsverständnisses. Deswegen demonstrieren wir als Naturfreundejugend auch bei #unteilbar am 4. September mit. Ich glaube an den Einfluss von Demonstrationen und bleibe ein optimistischer Mensch.

Interview: Samuel Lehmberg