Die Blackbox Verfassungsschutz

Berliner NaturFreunde-Kampagne fordert das Aus für Inlandsgeheimdienste

Fast drei Millionen Menschen sahen am 6. April den letzten Teil einer ARD-Spielfilmtrilogie über den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Die erfolglose Suche der thüringischen LKA-Zielfahnder nach dem NSU-Kerntrio und die fragwürdige Rolle des Verfassungsschutzes wurde dabei als Fernsehkrimi inszeniert. Anschließend beleuchtete eine Reportage die Fortsetzung des Skandals im wirklichen Leben. Journalisten konfrontierten unter anderem den Nazischläger und früheren V-Mann Ralf Marschner mit Zeugenaussagen, der NSU-Mörder Uwe Mundlos habe mit falschen Papieren in seiner Firma gearbeitet. Marschner, mittlerweile in der Schweiz untergetaucht, ging direkt auf den Kameramann los.

Zehntausende Euro Honorar für Nazischläger

Marschners Biografie ähnelt der vieler V-Leute. Über zehn Jahre spitzelte er für den Verfassungsschutz, baute nebenbei einen Naziladen in Zwickau auf und war Kontaktperson für das verbotene Netzwerk „Blood & Honour“. Für Informationen erhielt er vom Geheimdienst mehrere zehntausend Euro Honorar und Spesen, die wohl zumindest teilweise zurück in die Szene flossen.

Die Enthüllungen über Marschner sind nur ein Puzzlestück der jahrelangen Skandalgeschichte aus dem NSU-Komplex. Obwohl nachweislich ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes am Tatort des Mordes an Halit Yozgat war, obwohl die „Verfassungsschutz“ genannten Inlandsgeheimdienste regalmeterweise Akten vernichteten und mehr als 40 V-Leute im unmittelbaren Umfeld des NSU-Kerntrios aktiv waren: Negative Konsequenzen für die Dienste hatte dies bisher nicht.

Karriereschub dank NSU-Skandal

Im Gegenteil: Die Dienste haben heute mehr Geld, mehr Mitarbeiter und mehr Befugnisse. Selbst in Thüringen, wo die rot-rot-grüne Landesregierung alle Nazi-V-Leute abschalten ließ, wirbt der sozialdemokratische Verfassungsschutz-Chef Stephan Kramer derzeit massiv für die Wiederbelebung dieses Instruments. Für einige Mitarbeiter führte der NSU-Skandal sogar zum Karriereschub. So stieg Gordian Meyer-Plath zum Chef des sächsischen Verfassungsschutzes auf. Die Tatsache, dass er V-Mann-Führer eines brandenburgischen Nazis war, der über die Bewaffnung des NSU-Kerntrios berichtet hatte, ohne dass die Information an die Polizei weitergegeben wurde, war dabei nicht hinderlich.

Mehr über die Kampagne „BlackBox Verfassungsschutz“ der NaturFreunde Berlin auf:
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Download Broschüre „Das Dunkle Kapitel“: www.kurzlink.de/Das-Dunkle-Kapitel

Dass die Geheimdienste derart unbehelligt geblieben sind, ist keiner Verschwörung zu verdanken. Aus institutionellem Eigeninteresse haben die Dienste eine Aufklärung massiv behindert. Akten wurden geschreddert, zurückgehalten oder als geheim klassifiziert, so dass in den öffentlichen Teilen der Untersuchungsausschüsse nicht darüber gesprochen werden konnte. Im Münchner NSU-Prozess wurden V-Leute vom Geheimdienst auf die Zeugenbefragungen vorbereitet. Ermittlungen gegen Geheimdienstspitzel werden in abgetrennten geheimen Ermittlungsverfahren geführt, damit die Nebenklageanwälte der Opferangehörigen von den Akten ausgesperrt bleiben. Frühere Geheimdienstler schreiben an Reformvorschlägen mit und erfinden abenteuerliche Rechtfertigungen für das Agieren der Dienste im NSU-Komplex.

Dabei ist der einzige Weg zur echten Aufklärung die Auflösung der Dienste und die schnelle Sicherung und Erforschung der Akten durch eine unabhängige Institution. Denn die Geheimdienste haben zwei wichtige Helfer: „Zeit“ und „Gewöhnung“. Die Meldungen über die Einsetzungen eines weiteren NSU-Untersuchungsausschusses beschäftigen oft nur noch regionale Medien. Auch hat das öffentliche Interesse am NSU-Prozesses in München nach knapp 300 Prozesstagen deutlich nachgelassen.

Broschüre beschreibt Geheimdienstpraktiken

Die Fachgruppe Politische Bildung der NaturFreunde Berlin kämpft seit einem Jahr gegen die Verfassungsschutz-Unterstützer namens „Zeit“ und „Gewöhnung“. Neben öffentlichkeitswirksamen Auftritten der Aktionsgruppe „BlackBox Verfassungsschutz“ haben die Berliner NaturFreunde auch eine 48-seitige Broschüre im Stil der „Verfassungsschutzberichte“ herausgebracht. Allerdings nimmt „Das Dunkle Kapitel“ den Verfassungsschutz ins Visier und beschreibt detailliert die Praktiken, Netzwerke und Karrierewege der „Verfassungsschützer“.

George Kaplan
Dieser Artikel erschien zuerst in NATURFREUNDiN 2-16.